Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DER BIEN MUSS 175 
pour les ennuis que je vous cause, mais votre amiti€ me donne le courage 
de vous deranger avec ma lettre. Mes compliments les plus amicales ä 
Madame Mendelsohn. Je me dis Votre tr&s devouee Comtesse Witte.“ 
Die treue Gattin hatte darin recht, daß es für Sergej Juljewitsch besser 
gewesen wäre, russischer Botschafter in Paris zu werden, als sich in der 
inneren russischen Politik zu verbrauchen. Eine Förderung ihres Wunsches 
aber war nach Lage der Verhältnisse für uns nicht gut möglich. Während 
meines letzten Zusammenseins mit Witte bei Borchardt sagte ich ibm, 
er sei unter Kaiser Alexander III. ein guter Minister gewesen, er würde 
wahrscheinlich unter dessen Großvater, Kaiser Nikolaus I., noch besser am 
Platze gewesen sein. Auch unter dem schwächeren Nikolaus II. habe er, 
solange der Zar, wenigstens dem Namen nach, Selbstherrscher gewesen 
wäre, ErsprieBliches geleistet. Zum parlamentarischen Ministerpräsidenten 
aber fehle ihm ungefähr alles. Als Witte mir, nicht ohne Pikiertheit, aus- 
einandersetzte, er sei ein Liberaler, er freue sich auf das Zusammen- 
arbeiten mit dem Parlament und werde die Duma zähmen und zu leiten 
wissen, verhehlte ich ihm nicht meine Bedenken und Zweifel. Gewiß wären 
seine Allüren liberal, er verfüge auch über eine bemerkenswerte europäische 
Bildung, aber seine ganze Denkungsweise wäre nicht nur echt russisch, 
sondern altrussisch. Im Grunde halte er es mit dem Spruch des Kaisers 
Nikolaus Pawlowitsch: „Der Bien will nicht, aber er muß.“ Nachdem ein- 
mal, nicht ohne sein Zutun, in Rußland die Schleusen des Parlamentarismus 
geöffnet worden wären, werde er bald erkennen, daß sein ganzes Naturell 
nicht in ein parlamentarisches Rußland passe. Jedenfalls möge er die Arbeit 
mit der Duma lieber anderen überlassen, er sei nun einmal kein Ministre 
parlamentaire und noch weniger ein Chancelier parlamentaire, es fehle ihm 
die Gewandtheit, die „souplesse‘“. Witte machte ein sauersüßes Gesicht. Er 
war nicht ohne Eitelkeit, aber die Ereignisse sollten mir recht geben. 
Und dabei hatte ich, um Wittes Selbstgefühl zu schonen, ihm nicht einmal 
gesagt, daß seine Rauheit nach den Erfahrungen, die ich mit ihm in Norder- 
ney gemacht hatte, mehr eine äußere Haut war, die keine wirkliche, un- 
beugsame und stählerne Energie verhüllte. 
Über die immer unerfreulicher werdenden russischen inneren und ins- 
besondere russischen Hofzustände schrieb, wenige Wochen bevor Sergej 
Juljewitsch zum ersten konstitutionellen russischen Ministerpräsidenten 
ernannt wurde, die Großfürstin Wladimir ihrem Onkel, dem Prinzen Hein- 
rich VII. Reuß, in einem Brief, den dieser mir vertraulich mitteilte: „Mein 
lieber Onkel, am Sonntag, dem 8. Oktober n. St., hat sich Kyrill mit 
Viktoria-Melitta von Koburg trauen lassen. Die Hochzeit fand in Tegernsee 
stattund ward durch den Priester meiner Schwägerin vollzogen. Die Situation 
war unhaltbar geworden, und da nun Frieden bei uns einzog, so hatte 
Großfürstin 
Wladimir 
über die 
russische 
Dynastie
	        
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