Der Finanzier
Beit in Pots-
dam
190 DIE BEIDEN SOUVERÄNE
Wunsch hat, Anfang nächsten Jahres, ‚wenn nichts dazwischenkommt‘,
mit $S.M. dem Kaiser zusammenzutreffen. Ich vermute, dies ist aber ledig-
lich Vermutung, durch Einladung nach England. Es ist ja auch möglich,
daß König Eduard daran denkt, daß sich die Sache im Mittelländischen
Meer machen läßt. Ich möchte aber dringend abraten, irgend jemand, auch
nicht Lascelles, davon zu sprechen.“ Über die Lage der Dinge in Rußland
fügte der Botschafter Nachstehendes hinzu: „Ich weiß nicht, ob nach Ihren
Nachrichten die Lage der Autokratie in Rußland ebenso gefährdet erscheint
wie nach den meinigen. Nach meiner Überzeugung ist die Autokratie ver-
loren. Wenn auch jetzt die Revolution nochmals mit Gewalt unterdrückt
werden sollte, wonach es aber auch nicht aussieht, so wird sie binnen eines
halben Jahres mit bewaffneter Gewalt doch wieder losbrechen. Die Gärung
ist zu allgemein und die Unzufriedenheit zu weit verbreitet, um die Wieder-
herstellung der Ruhe im alten Geleise zu ermöglichen.“
Über das Thema der dynastischen Beziehungen zwischen Berlin und
London schrieb ich um dieselbe Zeit an den Staatssekretär von Richt-
hofen: „Als ich mich in Koblenz von Seiner Majestät trennte, schien er
nicht mehr die Absicht zu haben, direkt an den König Eduard zu schreiben,
namentlich mit Rücksicht darauf, daß er sich gegenüber dem Botschafter
und bis zu einem gewissen Grade auch gegenüber dem englischen Militär-
attache offen ausgesprochen hatte. Sagen Sie an Lascelles, ich teilte seine
Ansicht, daß unter den beiden Völkern die unvernünftige Gegnerschaft,
gerade weil sie so durchaus unvernünftig sei, allmählich etwas abflaue. Um
so mehr müsse alles geschehen, um die persönliche Gereiztheit zwischen den
beiden Souveränen zu mildern. Ich täte in dieser Beziehung, was ich könnte,
was meine persönliche alte und aufrichtige Anhänglichkeit für den König
Eduard mir erleichtere. Ich sei überzeugt, daß Lascelles, der seinerseits die
guten und edlen Seiten des Kaisers kenne, mich dabei unterstützen würde.
Die Hauptsache ist, daß keine weiteren gegenseitigen Häkeleien statt-
finden, sondern zunächst wenigstens beiderseitige Ruhe ohne gegenseitiges
Sichanärgern und Reizen eintritt.“
Am 30. Dezember 1905 schrieb mir der Kaiser aus dem Neuen Palais
in Potsdam einen sehr langen Brief über eine Unterredung, die er mit dem
Londoner Financier Beit gehabt hatte. Beit, von Geburt Hamburger, war
in Südafrika zu einem Riesenvermögen gekommen. König Eduard, den
eine ausgesprochene Vorliebe für sebr reiche Leute erfüllte, hatte Beit in
den Kreis seiner „personal friends‘‘ gezogen. Beit war ein Landsmann und
Freund von meinem Freunde Albert Ballin, der mir diesen originellen und
in seiner Art bedeutenden Mann oft geschildert hat. Mit allen seinen Mil-
lionen bewohnte Beit ein nicht allzu großes Haus, dessen Zimmer aber mit
Meisterwerken der größten Maler angefüllt waren. In seinem Schlafzimmer