Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DER CASUS FOEDERIS 195 
‚Das ist wieder etwas ganz anderes, und das ist lediglich unsere Sache!‘ 
Er wollte vor Lachen platzen. ‚Nun‘ — so schieden wir — ‚machen Sie, 
daß Sie mit den Franzosen ins reine kommen über Marokko, so werden Sie 
mit England keine Schwierigkeiten mehr haben. Ich werde für die nötige 
Aufklärung in London sorgen.‘ ‚Nehmen Sie nur unsere Hauptgegner aufs 
Korn dort‘, sagte Ich, ‚nämlich Herrn Moberly-Bell und Mr. Harmsworth, 
den H.M. jetzt zum Lord macht!‘ ‚Ja‘, sagte Beit, ‚und noch einen, der 
schr übel ist, das ist Mr. Saunders, Times-Korrespondent in Berlin; der 
hat jetzt eben vor kurzem nach London telegraphiert, daß er aus sicherer, 
einwandfreier Quelle wisse, daß binnen zwei Monaten — also Ende 
Februar — der Krieg erklärt werden solle von hier!!! ‚That is a 
fat lie and a good one.‘ Die Konversation mit Herrn Beit hat Material 
zutage gefördert, das sehr wichtig ist. Einmal, daß in der Marokkosache 
England und Frankreich wie zwei Verbündete handeln werden. Daß Fisher 
brennend gern die Gelegenheit benutzen möchte, unsere See- und Handels- 
marine bei dieser Gelegenheit zu vernichten. Daß zu diesem Zweck die 
fremde Pariser Presse mit englischem Privatkapital auf das schärfste 
bearbeitet wird, um die Gallier möglichst mutig zu machen und dazu zu 
bringen, uns zu provozieren, um den Casus foederis zu haben. Daß es ganz 
richtig von unserem Admiralstabschef geurteilt und gesehen war, als die 
im vorigen November 1904 begonnenen Marineveränderungen für Kriegs- 
vorbereitungen und nicht bloß gewöhnliche Dislokationen angesehen wur- 
den. Daß die Berichte über die Stimmung in Paris vollkommen richtig 
sind, die Gallier zum Kampf entschlossen, wenn auch schweren Herzens 
so doch geschlossen und fest geschart hinter ihrer Regierung stehen und 
tatsächlich eine Menge Kriegsvorbereitungen gemacht haben und noch 
machen, wodurch sie eine Überraschung ausschließen und den Ein- 
fall bedeutend erschweren werden. Daß der von Saunders nach London 
telegraphierte, wenn auch fingierte Termin in London und Paris als echt 
angenommen wird, das geht daraus hervor, daß England einen Beobach- 
tungskreuzer nach Kiel schickt, um zu sehen, ob wir schon in der heimlichen 
Mobilmach itung sind, und die Gallier jetzt noch einen Kreuzer 
nach Kopenhagen schicken, um zu beobachten, ob in Dänemark Abwehr- 
maßregeln von dort oder von uns vorbereitet werden. Damit stimmt ferner 
überein die Neuformation — soeben beendet — des englischen Nordsee- 
(Eastern Squadron) Geschwaders — 6 Linienschiffe, 5 Kreuzer — und die 
zu Anfang Februar befohlene Konzentration der gesamten englischen 
Seestreitkräfte — 33 Linienschiffe, 25 Panzerkreuzer — an der portu- 
giesischen Küste. Id est: 1. Kanalflotte mit 11 Linienschiffen und einer 
Kreuzerdivision, 2. Atlantic-Flotte mit 8 Linienschiffen und einer Kreuzer- 
division, 3. Nordsee-Geschwader mit 6 Linienschiffen und einer 
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