Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

4 KEINE ISOLIERUNG DEUTSCHLANDS 
Äußern und auch die des Deutschen Kaisers zweifellos eine für England 
freundliche gewesen wäre. Dagegen hätte das deutsche Volk während dieser 
ganzen Zeit England gegenüber mehr Haß und Neid, Schadenfreude und 
Feindschaft an den Tag gelegt als irgendeine andere Nation. Da anderer- 
seits Deutschland durch seine gewaltige wirtschaftliche Entwicklung, den 
überraschenden Aufschwung seiner Industrie und seines Handels, die all- 
mählich die Welt eroberten, durch die Entwicklung seiner überseeischen 
Interessen und durch den Bau einer starken Flotte immer mehr für Eng- 
land der weitaus gefährlichste Rivale und Konkurrent würde, müsse 
England seine Politik darauf einstellen. Frankreich hätte längst aufgehört, 
für England ein ernster Mitbewerber zu sein. Rußland wäre nur in Asien 
gefährlich. Ernste Gefahr drohe England nur von Deutschland. Im An- 
schluß hieran entwickelte mir Metternich, wie er trotzdem nicht glaube, 
daß Frankreich auf die Dauer der Freund von Rußland und England blei- 
ben könne. Wohl aber wäre ein vorübergehender Vergleich zwischen Eng- 
land und Rußland und ein Zusammengehen ad hoc zwischen England, 
Rußland und Frankreich gegen Deutschland wohl denkbar. Sollte es aber 
selbst zeitweise gelingen, ein solches Zusammengehen jener drei Mächte 
herbeizuführen, so wäre es doch noch immer verfrüht, von einer Isolierung 
Deutschlands zu reden: denn einmal bliebe Österreich auf das Bündnis mit 
Deutschland angewiesen, während andererseits bei geschickter und 
ruhiger deutscher Politik Rußland weder geneigt sei, Frankreich das 
Elsaß zurückzuerobern, noch für die schönen Augen der Engländer den 
deutschen Handel zu zeı,tören. In Rußland bekämpften sich nach allem, 
was Metternich inoffiziell, aber von gut unterrichteter Seite höre, zwei 
Strömungen: das Mißtrauen der leitenden russischen Kreise gegen das 
republ.kanische und atheistische Frankreich auf der einen, der alte Haß 
des Slawentums gegen die Deutschen auf der anderen Seite. Das Weitere 
würde von der Geschicklichkeit unserer Politik abhängen. „Ich wiederhole‘““, 
bemerkte Metternich am Schluß seines Briefes, „und betone, daß nach 
meiner Überzeugung die englische Regierung nicht mit uns zu brechen 
wünscht und nichts leichtsinnig gegen uns unternehmen wird. Die Anti- 
pathie gegen die Deutschen ist aber in England so tief, daß keine englische 
Regierung, auch wenn sie es wollte, in internationalen Fragen von größerer 
Bedeutung auf unserer Seite zu finden sein wird. Alles, was wir für den 
Augenblick wünschen können, ist die Aufrechterhaltung dessen, was man 
in der diplomatischen Sprache korrekte und freundschaftliche Beziehungen 
von Regierung zu Regierung nennt. . Seitdem Sie die Leitung der Politik 
haben, hat sich unser Verhältnis zu Rußland langsam, aber stetig gebessert. 
Es scheint mir, daß es ein großer Fehler sein würde, wollten wir diesen Gang 
gewaltsam beschleunigen.“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.