BALFOUR WEICHT DEN LIBERALEN 205
Frankreich in keiner Weise eine Entfremdung gegenüber anderen Mächten
bedeuteten. England halte an der Freundschaft mit Frankreich und Japan
fest, sei aber gewillt, auch mit anderen Mächten die besten Beziebungen zu
unterhalten. Einige Tage später hatte der Ministerpräsident Balfour auf
dem Lordmayorsbankett ausgeführt: „Ich bin so sanguinisch, zu denken,
daß wir in Zukunft keinen Krieg sehen werden, es sei denn, daß eine Nation
oder ein Herrscher erstände, die unfähig wären, einen Plan nationaler Ver-
größerung anders auszuführen als durch Niedertreten der Rechte der Nach-
baro. Ich habe aber keinen Grund zu der Annahme, daß ein solches Un-
glück in Europa eintreten wird. Soweit die menschliche Voraussicht geht,
glaube ich, einen langen Frieden prophezeien zu können.“ Bald nach dieser
Rede von Mr. Balfour kam ich im Reichstag bei der ersten Beratung des
Etats auch auf die in England hervortretende Abneigung der öffentlichen
Meinung gegen uns zu sprechen. Erst in allerletzter Zeit hätten sich An-
läufe gegen diese bedenkliche Spannung in ernsten englischen Kreisen
bemerkbar gemacht. Unter dem Beifall des Hauses hatte ich hinzugefügt:
„Ich begrüße aufrichtig solche günstigeren Zeichen. Ich möchte gern darin
einen Aufang dafür sehen, daß man zu dem leider unterbrochenen wechsel-
seitigen Verständnis zweier großer Völker von gleichartiger Kultur zu-
rückkehren will.‘“*
Am 4. Dezember 1905 hatte das Ministerium Balfour seine Demission
eingereicht. Am 10. Dezember war das neue liberale Kabinett gebildet
worden mit Sir Henry Campbell-Bannerman als Premierminister,
Asquith als Schatzkanzler, Sir Edward Grey als Minister des Äußern,
Haldane als Kriegsminister, Lord Tweedmouth für die Admiralität,
Lloyd George für das Handelsamt, John Burns von der Arbeiter-
partei für die Lokalverwaltung, Bryce für Irland. Der Earl of Crewe, der
Schwiegersohn des Earl of Rosebery, wurde Lord-Präsident des Geheimen
Rates, der Marques of Ripon Lord-Geheimsiegelbewahrer. Mit dem Gefühl
für die Notwendigkeit einer stetigen auswärtigen Politik, das alle englischen
Parteien auszeichnet, hatte der neue Ministerpräsident Campbell-Bannerman
am 21. Dezember 1905 in seiner Programmrede ausgeführt, daß das ganze
englische Volk an dem von Lord Lansdowne „so weise‘ abgeschlossenen
Abkommen mit der französischen Regierung festhalte, aber hinzugefügt:
„Was Deutschland anbelangt, so sehe ich nicht die geringste Veranlassung
zur Entfremdung in irgendeinem Interesse der beiden Völker, und wir heißen
die inoffiziellen F dschaftsd trationen, die in der letzten Zeit
zwischen den beiden Ländern ausgetauscht wurden, willkommen.“ Im
Januar 1906 fanden die englischen Neuwahlen statt, die zu einer gewaltigen
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe II, 250 f.; Kleine Ausgabe IV, 30 ff.
Das Kobinett
Campbell-
Bannerman