DIE AUFTEILUNG MAROKKOS 5
Am 4. Oktober 1903 schrieb mir der Botschafter in London mit Bezug
auf Marokko: „Falls Frankreich, England und Spanien sich über einen
Plan zur Aufteilung Marokkos einigten, könnten wir den drei Mächten
zunächst mitteilen, daß wir einen Teilungsplan, an dem wir nicht beteiligt
wären, nicht anerkennten. Wir erhöben also Protest, weil unsere bedeu-
tenden Handelsinteressen an der atlantischen Küste nicht berücksichtigt
worden wären. Dem steht freilich entgegen, daß ein leerer Protest ohne
Druck- und Drohmittel in seinen Folgen meist verhängnisvoller ist als
ruhiges Geschehenlassen. Solche Mittel ließen sich wohl finden, ihre Anwen-
dung wäre aber ein nicht ungewagtes Spiel. Wenn England den Franzosen
große Zugeständnisse in Marokko macht, so wird es trachten, bei diesem
Anlaß Ägypten aller internationalen Fesseln zu entledigen. Die Franzosen
haben längst ein Kreuz über Ägypten gemacht und würden für Marokko
gern an England das wenige zugestehen, was sie in Ägypten noch an poli-
tischem Einfluß besitzen. Wir dürfen in eine aktive antienglische Politik
in Ägypten natürlich nur eintreten, wenn sich England in Marokko gegen
uns stellt. Der bloße Verdacht genügt nicht, wenn wir nicht die englische
Regierung geradezu in eine grundsätzlich feindliche Stellung gegen uns
drängen wollen.“
Der Brief Metternichs schloß: „Wenn England sich tro:z allem mit
Frankreich über eine gründliche Aufteilung Marokkos verständigt, was ich
immerhin noch bezweifle, deun die Aufgabe der wenigen den Franzosen in
Ägypten übriggebliebenen Rechte wiegt für die Engländer nicht den Ver-
zicht von Marokko auf, so dürfte England hierzu nur durch den Wunsch
bewegt werden, die neue Freundschaft mit Frankreich ä tout prix fester zu
knüpfen. Gegen Frankreich haben wir ein weit stärkeres Druckmittel als
gegen England, sofern über unsere Köpfe hinweg die Teilung inszeniert wer-
den sollte. Wir können der französischen Regierung le cas €ch&ant sagen,
daß sie viel zu weise wäre, um die mehr als dreißig Jahre mit Vorsicht
gepflegten friedlichen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland
leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Wir brauchen deshalb kein Armeekorps zu
mobilisieren, und die Franzosen werden dies auch nicht obne weiteres tun.
Aber Marokko ist ein ernstliches Game of blufl.*“ Metternich warnte vor
einem vorzeitigen deutschen Hervortreten in der Marokko-Frage und
namentlich vor einer innpportunen Preßkampagne. „Wenn überhaupt,
können wir nur im opportunen Moment durch schweres diplomatisches
Geschütz etwas ausrichten. Je früher wir die Batterie auffahren, um so
mehr Zeit wird den Gegnern gegeben, sich zu verschanzen und Gegenmaß-
nahmen zu treffen. Wann der richtige Augenblick für uns eintritt, kann nur
die Entwicklung der Dinge lehren oder erst durch die genauere Kenntnis
der englisch-französischen Abmachungen bestimmt werden.“