Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Bülow in 
Norderney 
216 HOLSTEIN, DER HÖLLENSOHN 
Der Kaiser genehmigte ohne Bedenken das Abschiedsgesuch. Als ich 
zwei Jahre früher, der unaufhörlichen Streitigkeiten zwischen Hulstein 
und anderen Beamten des Auswärtigen Amtes müde, dem alten Geheimrat 
erklärt hatte, wenn er nicht endlich Ruhe gäbe, würde ich genötigt sein, 
wenn auch mit Bedauern, aber im Interesse des Dienstes, mich von ihm zu 
trennen, ließ er diese meine Mahnung durch seinen Freund Radolin sofort 
zur Kenntnis des Kaisers bringen. Das nächste Mal, wo der Kaiser mir be- 
gegnete, es war bei einem Galadiner im Schloß, schoß er auf mich zu mit den 
lebhaft hervorgestoßenen Worten: „Bernhard, das sage ich Ihnen, meinen 
alten guten Holstein müssen Sie mir in Ruh lassen. Er war der einzige, 
der in meinem Kampf gegen den Beelzebub Bismarck treu zu mir gestanden 
hat.‘ Als es sich nach der Ernennung von Tschirschky zum Staatssekretär 
bald herausstellte, daß dieser seiner Aufgabe nicht gewachsen war, meinte 
der Kaiser mit derselben Lebhaftigkeit und mit derselben Überzeugung: 
„Lieber Bernhard, das muß ich mir ausbitten, an Tschirschky laß ich nicht 
rühren. Der war der einzige, der mir in meinem Kampf gegen den 
Höllensohn Holstein treu zur Seite gestanden hat.“ 
Als ich den zu lange versäumten Schlaf einigermaßen nachgeholt hatte, 
schickte mich Renvers nach Norderney. Ich habe selten in sv hohem Grade 
das empfunden, was die Franzosen „la joie de vivre“ nennen, als während 
meiner Rekonvaleszenz im Wonnemonat 1906, wo ich in kräftiger Seeluft, 
am Strande des weitaufrauschenden Meeres lange Ritte um die Insel unter- 
nahm. Von Kindesbeinen an ritt ich gern. Als Minister machte ich auch bei 
schlechtem Wetter meinen täglichen Galopp. Gern denke ich an die braven 
Pferde, die micb in Berlin durch die Alleen des Tiergartens und um das 
Hippodrom, in Norderney zum Leuchtturm trugen, später durch die römi- 
sche Campagna und auf den Sandwegen längs der hulsteinischen Knicks, 
an die unermüdliche Roßbach und den braven Peter mit seinem Schlitz- 
ohr, an die kukette Senta und den flotten Torero, an die schöne Apfel- 
schimmelstute Lina und den klugen Hans. Ich habe nie ein Pferd verkauft, 
sondern ihnen, wenn sie dienstunfähig wurden, das Gnadenbrot gegeben, im 
Freien auf grüner Wiese. Zwei dieser guten Tiere sind dem Weltkrieg zum 
Opfer gefallen. Die Roßbach flog nicht weit von P&ronne bei der Explosion 
eines Munitionsdepots in die Luft, der Torero wurde in demselben Augen- 
blick von einer Kugel erreicht, wo sein tapferer Reiter, der Bataillons- 
adjutant des 1. Garderegiments zu Fuß Leutnant von Oppen vor der 
Front seines stolzen Regiments, von einer Kugel getroffen, den Heldentod 
starb. 
Auf diesen Ritten begleitete mich mein treuer Diener Joseph Vehres, 
heute noch in meinem Dienst und mir durch seine Anhänglichkeit und An- 
stelligkeit eine unentbehrliche Stütze. Rheinländer von Geburt, stand er
	        
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