HINZPETER SCHREIBT 219
sich unterzeichnete als „Ihr stets treuer Kronprinz Wilhelm“. Ich erhielt
viele Hunderte von Telegrammen und Briefen zum Teil von mir persönlich
unbekannten Verehrern. Am meisten rührte mich der Brief, in dem Prinz
Heinrich XXXIIL. Reuß mir den am Tage vor meinem Geburtstag, am
2. Mai 1906, erfolgten Tod seines Vaters, des Prinzen Heinrich VII. Reuß,
mitteilte. Prinz Septi Reuß, wie er zum Unterschied von seinen zahlreichen
Namensvettern genannt wurde, war mir im Winter 1875/76 in St. Peters-
burg ein gütiger Chef gewesen, als ich, damals ein sechsundzwanzigjähriger
Botschaftssekretär, dort debütierte. Er war zehn Jahre später mein Trau-
zeuge, als ich in Wien heiratete und damit das innerliche Glück meines
Lebens begründete. Er blieb mir stets ein von mir hochverehrter Gönner
und Freund. Sein Sohn schrieb mir: „Diese Zeilen sollen Eurer Durch-
laucht die letzten herzlichsten Grüße von meinem heute früh sanft heim-
gegangenen Vater bringen. Papa trug mir noch gestern abend, als er nur
noch mühsam sprechen konnte, auf, ja nicht zu vergessen, Euer Durch-
laucht seine herzlichsten und wärmsten Glückwünsche zu Ihrem Geburts-
tag zu übermitteln. ‚Gute Besserung, gute Besserung‘, war sein herz-
lichster Wunsch. Wollen Euer Durchlaucht mich nicht für unbescheiden
halten, wenn ich Ihnen unseren tiefsten Dank sage für die treue Freund-
schaft zu meinem Vater, die ihm so gut tat, ihn so erfreute. Er hat sich
stets das Befinden Euer Durchlaucht aus der Zeitung vorlesen lassen und
sich so an den Fortschritten erfreut.“ Einen starken Eindruck machte mir
ein Brief des Erziehers Seiner Majestät, des Dr. Hinzpeter, der mir nach
Norderney schrieb: „Auch ich wage die Bitte, meinen Glückwunsch vor-
zubringen, zugleich mit dem Ausdruck der Freude darüber, daß wirnoch mit
dem Schrecken davongekommen sind. Der Schrecken aber war groß und
bei mir noch größer als bei den meisten anderen. Denn mein Hauptgedanke
bei der Nachricht von dem Zusammenbruch des Kanzlers war nicht: Der
arme Fürst! sondern: Der arme Kaiser! Ob dem Fürsten Bülow seine
glänzenden Erfolge ein genügender Lohn für die ungeheure Arbeit und die
ungeheure Mühe sind und also die Fortführung eines so harten Lebens ihm
besonders wünschenswert erscheint, kann ich nicht wissen; aber ganz
bestimmt weiß ich, daß des Kaisers weiteres Leben und Wirken ohne seinen
jetzigen Kanzler wesentlich ärmer und unfruchtbarer geworden sein würde,
weil er als Mensch und als Regent einen absolut unersetzlichen Verlust
erlitten haben würde.“ Es gab nicht viele, die Wilhelm II. so von Grund aus
kannten wie Hinzpeter. Da er überdies gar keinen Anlaß hatte, sich um
meine Gunst zu bewerben, denn er erwartete nichts mehr vom Leben, so
hatte sein Urteil für mich Wert. Der spätere Hausminister, damalige Ober-
hofmarschall August Eulenburg schrieb mir nach Norderney: „Gott sei
Dank, daß Sie dem Kaiser, dem Vaterlande und Ihren Freunden und