Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

IN DER GLASVERANDA 225 
ihm nichts größere Freude machte als Überraschen und Alarmieren. Aber 
einer seiner Adjutanten hatte die Freundlichkeit gehabt, mich zwei Stun- 
den vorher zu avertieren, damit ich wenigstens für die leibliche Notdurft 
Seiner Majestät und des Allerhöchsten Gefulges ‚während ihres Aufent- 
halte auf der Insel Vorkehrung treffen könne. 
Der Besuch war charakteristisch für die seltsame Mischung aus Lie- 
benswürdigkeit und Derbheit, aus großer Güte und Rücksichtslosigkeit, 
die Wilhelm II. eigen war. Er setzte sich zunächst mit mir in eine von der 
Sonne beschienene Glasveranda, in der eine derartige Hitze herrschte, daß 
es in der Tat ein gutes Zeichen für meine völlige Genesung war, wenn ich 
nicht einen neuen Ohnmachtsanfall erlitt. Nachdem er auf diese Weise 
während einer fast zweistündigen angeregten Konversation meinen Ge- 
sundheitszustand gründlich geprüft hatte, begab er sich mit mir zu meiner 
Frau, die er durch die Herzlichkeit, mit der er ihr seine Genugtuung über 
meine Wiederherstellung aussprach, wahrhaft bezauberte. Am Abend 
des nächsten Tages hielt er in Cuxhaven beim Festmahl des Norddeutschen 
Regatta-Vereins eine Ansprache, in der er unter anderem sagte: „Gott hat 
uns den Frieden erhalten, den Frieden in Ehren, den er uns auch weiter 
schenken möge. Derjenige aber, der die größte Arbeit an diesem Friedens- 
werk geleistet hat, der erste Ratgeber des Reichs, den wir alle in den 
vergangenen Wochen mit unseren Segenswünschen verfolgt haben, befin- 
det sich, wie ich Ihnen zu meiner Freude mitteilen kann und wovon ich 
mich gestern persönlich überzeugt habe, im vollsten Wohlsein und in bester 
Gesundheit und wird in der Lage sein, wieder in vollem Umfang als mein 
erster Ratgeber im Lenken des Reichs zu wirken.“ Der Kaiser hatte sogar 
bei dem Diner in Cuxhaven in Wirklichkeit mich den „Lenker des Reichs“ 
genannt und der Erwartung Ausdruck gegeben, daß ich wieder in vollem 
Umfange das Reich „regieren“ würde. Bevor die Verbreitung der Rede 
durch Wolffs Telegraphenbüro erfolgte, wurde korrekterweise bei mir ange- 
fragt, und ich änderte den Lenker natürlich in Ratgeber um. 
15 Bülow I
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.