Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

KRIEG LEICHTEN HERZENS 233 
würden, von wem es auch sei, so müßten wir uns wehren, und wir werden, 
solange ich am Ruder stehe, in einem solchen Fall uns wehren, und wir 
werden kämpfen bis aufs Messer. Aber ohne zwingende Gründe einen Krieg 
zu provozieren, der gesittete Völker, unter ihnen Völker, die sich noch nie 
mit der Waffe in der Hand gegenübergestanden haben, in einen furcht- 
baren Kampf verwickeln würde, dessen Konsequenzen für das Wirtschafts- 
leben dieser Völker, für ihr ganzes Erwerbsleben, und nicht nur für den 
Erwerb, für den Wohlstand dieser Völker, nein auch für den Wohlstand der 
ganzen Welt, für die Kulturfortschritte der Menschheit ich Dir gar nicht 
erst auszumalen brauche, dafür kann derjenige nicht die Verantwortung 
übernehmen, dem es mit dem Wohl des Landes wirklich Ernst ist und dessen 
Vaterlandsliebe nicht nur in tönenden Worten besteht. Er habe drei Kriege 
geführt, die notwendig gewesen wären, hat in seiner unsterblichen Rede auf 
dem Marktplatz zu Jena Fürst Bismarck ausgeführt. Nachdem diese Kriege 
geführt worden wären, hielte er es nicht für notwendig, daß wir weitere 
Kriege führten. Wir hätten in solchen nichts zu erstreben. Er hielte es 
für frivol oder ungeschickt, wenn wir uns in weitere Kriege hineinziehen 
ließen. Ich will die Frage unerörtert lassen, ob es bei uns Leute gibt, 
welche sich die Chauvinisten und Jingoes anderer Länder zum Vorbild 
genommen haben. Wenn manche Leute und manche Richtungen bei uns, 
auch Leute bei Hofe, auch Reichsboten und Journalisten, auch Leute auf 
dem Katheder, einen Minister des Äußern haben wollen, der unser Land, 
le cur leger, wie ein französischer Minister sich ausgedrückt hat, mit 
leichtem Herzen, in Abenteuer stürzt, müssen sie sich nach einem andern 
Reichskanzler umsehen. Dafür bin ich nicht zu haben. Mit dem Mißbrauch 
der edlen Worte ‚Ehre‘ und ‚Ruhm‘ hat man große Völker in den Ab- 
grund geführt. 
Ich halte, wie ich Dir oft sagte, eine verständige Kritik gegenüber jeder 
Regierung und gegenüber jedem Minister für sehr indiziert. Eine vernünf- 
tige Kritik ist für die politische Gesundheit und das seelische Gleichgewicht 
eines Ministers ebenso zuträglich wie das Salz für die leibliche Kost und das 
körperliche Wohlbefinden. Die Kritik hat das Gute, daß sie zur Selbst- 
beobachtung zwingt und der Selbstgenügsamkeit ein Ende bereitet, die 
ein ganz großer Fehler ist. Ich betrachte eine solche Kritik geradezu als die 
Würze meiner amtlichen Tätigkeit. Und darum lese ich seit neun Jahren 
das ‚Berliner Tageblatt‘ und die ‚Deutsche Tageszeitung‘ zu meinem 
Morgentee. Wenn mich die eine schont, tadelt mich gewöhnlich die andere, 
manchmal gehen sie auch gleichzeitig mit mir ins Gericht, aber meist in 
sachlicher Weise, so daß ich dabei profitiere. Auf diese Weise nehme ich 
jeden Morgen das nötige Quantum kritischen Salzes in mich auf, das för- 
dert die Verdauung. Aber, wie das auch bisweilen geschieht, ohne wirkliche
	        
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