Bülow
beantragt
‚AÄmnestie-
Erlaß
250 WILHELM Il. GEGEN AMNESTIE
der nunmehr als Herzog die Regierung von Braunschweig übernehmen
könne, erklärte der Kaiser, daß hiervon nicht die Rede sein könne, und
fügte hinzu: ‚Na, wenn Bülow die Sache energisch durchhält, hat er ja
Gelegenheit, zu zeigen, daß er noch der alte ist!““ Ich ließ mich dadurch
nicht abhalten, die Schreiben, die der Herzog von Cumberland an den
Kaiser und an mich gerichtet hatte, fortiter in re, aber suaviter in modo zu
beantworten, mit der Höflichkeit, die nicht nur dem Oberhaupt eines der
ältesten und erlauchtesten deutschen Fürstenhäuser, sondern auch dem
Unglück gebührt.
Bald nach der Entbindung der Frau Kronprinzessin hatte ich in einem
wohlfundierten und -motivierten, vom ganzen preußischen Staats-
ministerium unterzeichneten Immediatbericht beim Kaiser den Erlaß einer
Amncstie angeregt. Ich hatte in meinem Bericht gesagt, daß, je hochherziger
die Sache behandelt werde, um so größer der politische Erfolg sein würde.
Der Kaiser hatte diesen Vorschlag schroff und mit sehr ungnädigen Be-
merkungen abgelehnt. Er denke gar nicht daran, aus Anlaß der Geburt
eines Enkels eine Amnestie zu erlassen. Bei seiner Geburt sei auch keine
Amnestie erlassen worden. Er sei ein grundsätzlicher Gegner aller Amnestien.
In dieser Frage hätte überhaupt nicht hinter seinem Rücken ein Staats-
ministerialbeschluß herbeigeführt werden sollen, sondern man hätte ihn
zunächst fragen müssen. Das Ministerium habe grundsätzlich zu warten,
bis der Herrscher ihm seine Anregungen zugehen ließe. Auch sei der Zeit-
punkt für eine eventuelle Amnestie bereits verpaßt. (Das war eine Contra-
dictio in adjecto.) Die liberale Presse habe zuerst „in frecher Weise“ eine
Amnestie gefordert; dann, als sie die Hoffnung auf Erlaß einer solchen auf-
gegeben hätte, die Allerhöchste Person „in unverschämter Weise‘ ange-
griffen. Wenn er jetzt den liberalen Forderungen nachgebe, so würde das
als Schwäche ausgelegt werden. Ich ließ aber nicht locker und erreichte mit
Hilfe von Lucanus, der mich auch in dieser Frage treu unterstützte, daß
am 24. August ein umfassender Allerhöchster Gnadenerlaß erschien.
Der Kaiser bestand nur auf einer Formulierung des Erlasses, durch die zum
Ausdruck gelangte, daß, nachdem ihm durch Gottes Gnade ein Enkel ge-
schenkt worden sei, der in wenigen Tagen die heilige Taufe empfangen solle,
und da dieser Tag dazu auffordere, empfangene Unbill zu verzeihen und
Vergebung zu üben, er auch denjenigen verzeihen wolle, die sich gegen seine
Person vergangen hätten. Die Verurteilungen wegen Majestätsbeleidigung
hatten unter der Regierung Wilhelms II. sehr zugenommen. Es hing dies
zweifellos damit zusammen, daß der Kaiser, wie ich schon oft erwähnen
mußte, weniger in der Sache als in der Form den Majestätsbegrifl über-
spannte. Um so notwendiger erschien mir, bei passendem Anlaß das Kor-
rektiv einer Amnestie eintreten zu lassen, schon weil die Verurteilungen