DER WEG DER EVOLUTION 287
möglich, eine Beamtenregierung über den Parteien und Klassen nötig ist —
die großen Schwierigkeiten, welche darin liegen, in den Kauf nehmen. Es
wird Ihr Rubmestitel immer bleiben, daß Sie diese Schwierigkeiten über-
wunden haben. Wir besprachen vor einem Jahr einmal, bei Fürst Knyp-
hausen, daß und warum heute nur so zu regieren sei. Es ist Ihnen gelungen,
doch immer wieder eine Majorität zu erhalten. Sie haben jetzt Konservative,
Nationalliberale und Fortschritt besser zu gemeinsamer Aktion gebracht
als kaum je in der preußischen Verfassungsgeschichte. Es wird sich nun
freilich darum handeln, dieses Verhältnis aufrechtzuerhalten, und das wird
vielleicht noch schwieriger sein, als es in der Wahlkampagne herbeizu-
führen. Es wird Ihnen dadurch erleichtert werden, daß Sie die Karten in
der Hand haben, auch wieder eine konservativ-ultramontane Mehrheit zu
bilden. Aber ich hoffe, daß es Ihrer Kunst gelingt, ohne das auszukommen!
Denn dieses Aushilfsmittel würde Ihnen die große Popularität und Macht,
die Ihnen die Wahlen verschafft haben, wieder nehmen. „Bülow ist so klug,
daß ihm gelingt, was allen anderen mißlingt‘ — so sagte mir mal das Mit-
glied der Bismarckschen Familie, das nach dem Tode des großen Kanzlers
doch wohl das feinste und weitsichtigste ist, das im übrigen aber natürlich
nicht an zu bedingungsloser Verehrung für den heutigen Reichskanzler
leidet. Verzeiben Sie, Durchlaucht, diese Zeilen der Belästigung und ant-
worten Sie mir nicht darauf. Sie haben mehr und Besseres zu tun. Ich und
Millionen Deutsche mit mir danken heute noch viel inniger als im Sommer
1906 dem Schicksal, das Ihre Gesundheit wieder so vollständig herstellte.
Möge sie Ihnen noch recht viele Jahre erhalten bleiben zu Ihrer Freude,
zum Wohl des Vaterlandes. Ihr treu ergebener Gustav Schmoller.““ Nicht
alle Hoffnungen, die der ausgezeichnete Mann an den Wahlsieg von 1907
knüpfte, haben sich erfüllt. Wenn es mir vergönnt gewesen wäre, noch
einige Jahre am Staatsruder zu stehen, so glaube ich, daß ich meinem Ziel,
mit der Monarchie und durch die Monarchie, die im neunzehnten Jahr-
hundert dem Bürgertum, dem gebildeten und gelehrten wiedem schaffenden,
die ihm gebührende Stellung gab, auch dem Arbeiter die volle Gleich-
berechtigung mit den anderen Ständen und Klassen zu verschuffen, den
vierten Stand auf friedlichem Wege, auf dem Wege der Evolution in das
Staatsleben einzurenken, um ein gut Teil nähergekommen wäre. Und das
wäre für Volk und Land besser gewesen als die Novemberrevolution, denn
nicht mit Unrecht sagt ein scharfer, ein tiefer Denker, Hippolyte Taine:
„En fait d’histoire il vaut mieux continuer que recommencer.“
Der sehr von mir geschätzte, mir befreundete Ministerialdirektor Althoff,
ein bedeutender Mann, telegrafierte mir: „Ich möchte mir nicht ver-
sagen, meine helle Freude über den 25. Januar und den von Eurer Durch-
laucht hervorgerufenen nationalen Aufschwung auszudrücken als Ihr in
Telegramm
Althoffs