Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

FANFARE AN BORD DER „STANDART“ 293 
zu entziehen suchte, die Kabinettschefs Seiner Majestät, Lucanus und 
Hülsen, und der Kommandant des Kaiserlichen Hauptquartiers, General 
Plessen, unterstützt von der ganzen Maison militaire, trotz meinem Abraten 
und Warnen und gegen das Staatsinteresse es schließlich dahin brachten, 
daß Kuno Moltke den Prozeß anstrengen mußte. 
Der für die Regierung so glänzende Ausfall der Reichstagswahlen hatte 
unsere Stellung nach außen und in der Welt befestigt und gehoben. Das 
Ausland war überzeugt, daß Fortschritte der sozialdemokratischen Be- 
wegung in Deutschland eine Schwächung des Reichs bedeuteten. Man kann 
geradezu sagen, daß das Wachsen oder Abnehmen der sozialdemokratischen 
Partei ein Thermometer war, nach dem die Welt den Gesundheitszustand 
des deutschen Volkskörpers und damit dessen Stärke beurteilte. Die beiden 
Begegnungen, die im Sommer 1907 zwischen Kaiser Wilhelm II. einerseits, 
dem Zaren und dem König von England andererseits in Swinemünde und in 
Wilhelmshöhe stattfanden, boten Anlaß zu lehrreichen Beobachtungen und 
Feststellungen in dieser Hinsicht. Beide Begegnungen verliefen gut. Bei der 
Abschiedsfeier an Bord der russischen Jacht „Standart“ brachte Kaiser 
Nikolaus am 6. Juni 1907 einen für seine Zurückhaltung und Wort- 
kargheit ungewöhnlich warmen Toast aus, in dem er die Fortdauer der 
Beziehungen überlieferter Freundschaft und Verwandtschaft betonte, die 
beständig ein enges Band zwischen den beiden Ländern und den beiden 
Dymastien gebildet hätten. Für Kaiser Wilhelm hatte ich einen in keiner 
Weise pointierten, vielleicht etwas farblosen Toast entworfen, der nirgend 
Anstoß erregen konnte. Der Kaiser, durch das freundliche Entgegen- 
kommen des Zaren ermuntert, konnte es sich aber nicht versagen, einen 
Fanfarenstoß ertönen zu lassen. Er hielt eine Rede, in der er seine prächtige 
Flotte herausstrich und betonte, wie stolz er wäre, seinem Bruder und 
Freunde eine solche Flotte vorführen zu können. Er hoffe, daß dem Zaren 
recht bald ein gleiches Glück beschieden werden möge. Inzwischen beglei- 
teten seine heißesten Wünsche den Neubau der russischen Flotte. Ich unter- 
drückte kurzerhand diesen oratorischen Erguß und wies den an Bord der 
„Hohenzollern“ befindlichen Vertreter von Wolffs Telegraphenbüro an, 
meine Version zu verbreiten. Der neue russische Minister des Äußern, 
Iswolski, der 1906 den wegen Kränklichkeit zurückgetretenen und bald 
nachher, im März 1907, in San Remo verstorbenen Grafen Lambsdorff 
ersetzt hatte, erhob zunächst einige Bedenken, meinte aber schließlich 
lächelnd: „Certainement le discours de Sa Majest& l’Empereur £tait plus 
beau, mais le vötre est plus sage. Publions le vötre!“ Als Kaiser Wilhelm 
am folgenden Tage nicht seine, sondern meine Rede in den Zeitungen 
fand, brunımte er ein wenig, beruhigte sich aber bald. Er war damals noch 
lenkbar. 
Begegnungen 
desKaisersmit 
Nikolaus II. 
und 
Eduard VII.
	        
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