Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

306 EINE STEHAUF-NATUR 
Kaiser ließ mich nach einigen Stunden bitten, den Abend mit ihm im 
Theater zu verbringen oder wenigstens, wenn meine Geschäfte dies nicht 
zuließen, ihm dort während der großen Pause in dem kleinen Salon vor 
der kaiserlichen Loge meinen Vortrag zu halten. Ich fand den Kaiser sehr 
munter, ganz unbefangen. Er war wirklich eine Stehauf-Natur. Er meinte, 
die Indisposition wäre überwunden. Er habe einen ihn erfrischenden 
Spazierritt gemacht und gut gegessen. Er fühle sich wieder ganz unter- 
nehmungslustig, sehr „‚kregel‘, und sei bereit, überall hinzureisen, wohin 
ich ihn im Interesse unserer Politik schicken wolle. Ich konnte meinen 
alten Freund Lascelles noch an demselben Abend davon in Kenntnis 
setzen, daß Seine Majestät der Kaiser sich wieder wohl und in der Lage 
fühle, die Reise nach England zu unternehmen. 
Am 10. November traf das Kaiserpaar in London ein. Am 12. November 
war das große Festmahl in Windsor. König Eduard konnte sich nicht ver- 
sagen, in seine Rede den etwas maliziösen Passus einzufügen, er hätte seit 
langer Zeit gehofft, diesen Besuch zu empfangen, aber im letzten Augen- 
blick gefürchtet, daß die Reise infolge einer Unpäßlichkeit des Deutschen 
Kaisers nicht stattfinden könnte. „Glücklicherweise sehen Eure Majestäten 
jetzt beide so voller Gesundheit aus, daß ich nur hoffen kann, Eurer Ma- 
jestäten Aufenthalt in England werde Euren Majestäten recht wohltun.“ 
Der König hatte mit dem Kaiser, obwohl dieser inzwischen schon acht- 
undvierzig Jahre alt geworden war, gelegentlich immer noch den schalk- 
haften Ton eines würdigen und erfahrenen Onkels mit einem noch jugend- 
lichen, unreifen und etwas unberechenbaren Neffen. Dann aber fuhr der 
König fort, daß er niemals, so lange er lebe, die Güte und Sympathie ver- 
gessen werde, die ihm der Kaiser in der Zeit erwiesen hätte, als die große, 
verehrte Königin Victoria aus dem Leben schied. Der Kaiser möge ver- 
sichert sein, daß seine Besuche in England stets eine aufrichtige Freude 
wären sowohl für das englische Königspaar als für das ganze englische 
Volk. „Ich hege“, schloß der König, „nicht nur innige Hoffnungen für das 
Gedeihen und das Glück des großen Reichs, über das Eure Majestät herr- 
schen, sondern auch für die Erhaltung des Friedens.‘ Am nächsten Tage 
wurden in der Guildhall sehr freundschaftliche Trinksprüche zwischen dem 
Lordmayor und dem Kaiser gewechselt. Der Kaiser nahm die Würde eines 
Ehrendoktors des Zivilrechts der Universität Oxford aus den Händen von 
Lord Curzon, einem der hervorragendsten und einflußreichsten englischen 
Staatsmänner, entgegen. Alle englischen Zeitungen widmeten ihm freund- 
liche Artikel und betonten, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und 
England sich bedeutend verbessert hätten. Es liege kein Grund zur Span- 
nung vor. Einige Tage später hielt der Minister des Äußern, Sir Edward 
Grey, in Berwick eine öffentliche Rede über die auswärtige Politik, in der
	        
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