308 DIE KAMARILLA
Kamarilla angebe, so wäre doch die erste Voraussetzung für das Gedeihen
solcher Giftpflanzen die Abgeschlossenheit und Unselbständigkeit des
Monarchen, Nun habe man ja dem Kaiser manchen Vorwurf gemacht, wie
man jedem Menschen diesen oder jenen Vorwurf mache. Aber daß er sich
abschließe im Verkehr und keinen eigenen Willen hätte, fügte ich unter
großer Heiterkeit des Hauses hinzu, das sei ihm meines Wissens noch nie-
mals vorgeworfen worden. Man möge also endlich aufhören mit dem Ge-
rede und Geraune und Geflüstere über Kamarilla. Dem Abgeordneten
Bebel, der gemeint hatte, nur in Monarchien gebe es Kamarilla und ähnliche
betrübende Erscheinungen, entgegnete ich, daß es nicht nur eine höfische
Kamarilla gebe, sondern auch eine rote Kamarilla, nicht nur vor fürstlicher
Eitelkeit würde Weihrauch angezündet, sondern auch vor König Demos.
„In der Kunst des Bauchrutschens und des Schweifwedelns sind die Höf-
linge des Königs Demos den Höflingen des Fürsten über, das können Sie
mir glauben, der ich beide Spielarten kenne.“ Ich schloß mit den Worten:
„Wir leben in einer Zeit, wo der Minister sich gar nicht so zu fürchten
braucht vor der Tyrannei von oben. Was hat denn heute ein Minister von
oben zu riskieren ? Höchstens seine Entlassung! Glauben Sie denn, daß es
ein solches Vergnügen ist, Minister zu sein ? Wohl aber soll in unseren Tagen
ein Minister sich nicht fürchten vor der Tyrannei von unten, die die
drückendste und schlimmste aller Tyranneien ist.‘
Diese meine Rede war im Auszug wie gewöhnlich ins Ausland, also auch
nach England, telegraphiert worden. Als der Kaiser bei seinem Abendessen
in Highcliffe, im Kreise seiner deutschen Umgebung das betreffende Tele-
gramm des Reuterbüros las, geriet er in heftige Erregung. Es sei unerhört
von mir, daß ich den Moltke-Prozeß berührt hätte. Ich hätte dem Reichstag
verbieten sollen, diese Materie zur Sprache zu bringen. Von Kamarilla,
höfischen Intrigen, überhaupt vom Hofe dürfe im Reichstag nicht gespro-
chen werden. Der Kaiser setzte ein in diesem Sinn gehaltenes, scharfes
Telegramm an mich auf, das er seinen Tischgenossen vorlas. Sie schwiegen
alle. Nur der Botschafter Metternich machte Seine Majestät darauf auf-
merksam, daß, wenn ich das vom Kaiser entworfene unhöfliche Telegramm
erhielte, ich zweifellos meinen Abschied einreichen würde. Der Botschafter
fügte hinzu, daß, hiervon abgesehen, Seiner Majestät sicherlich damit besser
gedient werde, wenn sein erster Minister die Verteidigung im Reichstag
übernehme, als wenn er gegenüber Vorgängen, über die allenthalben
gesprochen würde, sich in verlegenes Schweigen hülle. Der Kaiser pro-
testierte heftig und entwickelte sein Lieblingsthema, daß ein Minister
überhaupt nicht das Recht hätte, seinen Abschied zu verlangen; er habe zu
warten, bis er den Abschied bekomme. Aber während er so sprach, zer-
knüllte er allmählich den von ihm schon auf ein Telegrammformular nieder-