EULENBURGS ZUSAMMENBRUCH 309
geschriebenen zornigen Erguß, und als dies Schriftstück zu einer kleinen
Kugel geworden war, schleuderte er sie in die Ecke mit den Worten: „Na,
meinetwegen!“ Der arme Herr hat lange die Fähigkeit bewiesen, sich auch
nach starken Entgleisungen wieder zu fangen. Schlimmer als diese Vor-
gänge intra muros, d.h. im Kreise seiner deutschen Umgebung, waren die
Gespräche, die Wilhelm II. in Highcliffe mit zahlreichen dort eingeladenen
oder ihn besuchenden Engländern führte, Gespräche, von denen ich nichts
wußte und die erst später in dem bekannten Artikel des „Daily Telegraph“
das Tageslicht erblicken sollten.
Bevor ich mich den großen politischen Vorgängen des Jahres 1908 zu-
wende, muß ich die Tragödie des Fürsten Philipp Eulenburg mit ihren
Begleiterscheinungen zu Ende führen, nicht allein weil sie während
Monaten den Gesprächsstoff in allen Berliner Kreisen bildete, sondern
auch weil sie Wilhelm II. in hohem Grade erregte und affızierte und dadurch
politische Folgen nach sich zog. Diese sehr unerquicklichen Vorgänge
erinnerten, toute proportion gardee, an die mysteriösen, unheimlichen Aus-
schreitungen und Laster, die zweihundert Jahre früher unter Ludwig XIV.
zur Errichtung der Chambre ardente führten. Auf den armen Fürsten
Eulenburg stürmte allmählich viel ein. Während eines Aufenthalts, den er
mit seiner Familie in Territet am Genfer See genommen hatte, war seine
dritte Tochter, die Komteß Augusta, ein liebenswürdiges Mädchen, mit dem
Privatsekretär des Vaters, Herrn Jaroljmek durchgegangen. Die Eltern
hatten zunächst an einen Selbstmord ihrer Tochter geglaubt angesichts
der Weigerung des Vaters, seinen Konsens zu der von der jungen Komteß
gewünschten, in der Tat etwas exzentrischen Verbindung zu geben. Die
ganze Nacht suchte man in der Nähe von Territet den See mit Stangen ab,
aber ohne die Vermißte zu finden. Das war auch ganz begreiflich, denn sie
hatte sich inzwischen mit dem Geliebten trauen lassen. Eulenburg schickte
mir die Abschrift des geradezu verzweifelten Briefes, den er an den Kaiser
geschrieben hatte und der mit den Worten begann: „Eure Majestät sehen
heute einen Menschen vor sich, dem grenzenloses Leid angetan ist, dem er
ohnmächtig gegenübersteht, — das Schwerste, das einem liebenden Vater,
einem Familienhaupt angetan werden kann.“ Nun war dieser Vorfall
gewiß schmerzlich und peinlich. Als ich den intimen Freund von Eulenburg,
den württembergischen Gesandten Axel Varnbüler, frug, was für eine Art
Mensch dieser Jaroljmek wäre, erwiderte er: „Jaroljmek war der vertraute
Sekretär und besondere Liebling unseres guten Philipp. Er ist ein Südslawe,
sehr schön, sehr romantisch. Er hat ganz große Augen, ganz schwarzes
Haar und trug, als ich ihn zuletzt sah, einen Strohhut, der mit roten Vogel-
beeren umrankt war.‘ Wenn Eulenburg wahrscheinlich recht hatte, an den
Kaiser zu schreiben, Jaroljmek sei ein junger Fant, der zu nichts zu
Der
Eulenburg-
Skandal