DIE EINKREISUNG DURCIH REVAL 317
nicht unbegründet. Daß dies Arrangement zustande kam, bewies — und
ich lenkte die Aufmerksamkeit des Kaisers gerade auf diesen Gesichts-
punkt —, daß wir für England der Hauptgegenstand seiner Eifersucht und
seiner Sorge geworden waren und daß es auch zu beträchtlichen Opfern
bereit war, um sich gegen uns zu sichern. Alle fortschrittlichen Elemente
in Rußland drängten ohnehin zu den liberalen Westmächten in der Er-
wartung, daß nähere Beziehungen zu ihnen den Sieg liberaler und demo-
kratischer Ideen in Rußland erleichtern würden.
Die Begegnung von Reval hatte schon einige Wochen vorher ihre
Schatten vorausgeworfen. In Berlin liefen Kriegsgerüchte um. Die Zeitun-
gen schrieben über „Einkreisung“, vielfach ohne zu bedenken, daß das Zur-
schautragen übertriebener Nervosität unseren Feinden als ein Beweis von
Schwäche und Ängstlichkeit erschien, dagegen unsere Freunde entmutigte
und somit die Kriegsgefahr steigerte. Am 29. Mai 1908 hielt Kaiser Wil-
helm II. auf dem Exerzierplatz von Döberitz eine Rede, in der er, auf die
Einkreisung Deutschlands hinweisend, einen kriegerisch-drohenden Ton an-
schlug. Bei dieser Rede waren in Hörweite der russische und der japanische
Militärattache zugegen gewesen, die selbstverständlich für das Bekannt-
werden der feurigen Allokution sorgten. Es scheine, hatte der Kaiser ge-
sagt, daß die Taktik der Einkreisung Deutschlands fortgesetzt werden
solle. Es werde dadurch eine Lage geschaffen, die sehr ernst sei. Das Bei-
spiel Friedrichs des Großen müsse uns vorleuchten, der, von Feinden um-
ringt und eingeschlossen, einen nach dem andern geschlagen hätte. Als ich
den Kaiser wiedersah, wiederholte ich ihm oft Gesagtes: Gerade weil die
Lage eine gespannte und in mancher Hinsicht unsichere wäre, müßten wir
nach dem Spruch handeln: Non cantu sed actu. Solche Kritik hörte der
Kaiser nicht gern.
Als er nun einige Wochen später bei einem Besuch in Hamburg dort mit
Begeisterung akklamiert wurde, schrieb er mir, übrigens in freundlichem
Ton, er wäre während seiner ganzen Regierung nie in so großartiger Weise üb
empfangen worden wie jetzt in der größten deutschen Handelsstadt.
Enthusiasmus und Wärme hätten jeden Begriff überstiegen. Die Zahl der
zu seiner Begrüßung zusammengeströmten Menschen wäre unglaublich
gewesen, ihre Haltung und Disziplin musterhaft, die Huldigung auf der
Alster geradezu ergreifend. Als er dem Senat und der Seefahrtsgenossen-
schaft sein bewegtes Erstaunen über einen derartig überwältigenden, alles
übertreffenden Empfang ausgedrückt hätte, habe er die Antwort erhalten:
„Das ist der Dank für die Döberitzer Rede, sie hat wahrhaft zündend ge-
wirkt. Ein wahres Wort zu rechter Zeit.“ Der Ärger über Eduard VII. und
sein Entente-Getriebe sei allgemein. Den Hamburgern wäre die Geduld
ausgegangen. Es folgte eine lange Reihe von Nachrichten aus England, die
Rede
Wilhelms 11.
in Döberitz
Der Kaiser
über
Eduard VII.