"OHEIM UND NEFFE IN HOMBURG 321
Kraft umsonst verschwendet worden waren, so viel kostbares Blut umsonst
floß. Und Wilhelm II., der solche „Diener“ gewähren ließ, trägt vor Land
und Geschichte leider gleiche Verantwortung.
1908 trat bei Seiner Majestät alles gegen den Wunsch zurück, in mög-
lichst raschem Tempo weiter und immer weiter Kriegsschiffe zu bauen.
Als ich ein Jahr vorher zu der Begegnung mit dem Zaren naclı Swinemünde
gefahren war, kam mir der den Kaiser begleitende Gesandte von Treutler
entgegen, um mich zu beschwören, Seine Majestät nicht wieder vor einem
überhitzten Tempo beim Bau der Großkampfschiffe zu warnen, da dies
den Kaiser „tief unglücklich“ machen und „ganz aus dem Häuschen“
bringen würde.
Diese Wolke stand seit einem Jahr zwischen Seiner Majestät und mir,
als der Kaiser und sein Oheim, der König, sich in Homburg trafen. Bei
dieser kurzen Begegnung, die am 11. August 1908 stattfand und der ich
wegen anderweitiger dringender Amtsgeschäfte nicht beiwohnen konnte,
kam es zwischen dem Kaiser und dem den König begleitenden Unterstaats-
sekretär im englischen Auswärtigen Amt, Sir Charles Hardinge, zu einem
Gespräch, in dessen Verlauf Sir Charles unter lebhafter Betonung der fried-
lichen Gesinnung der englischen Regierung andeutete, daß dasrasche Tempo
der deutschen Flottenrüstungen in England Besorgnisse hervorrufe. Über
dieses Thema hatte mir unser Botschafter in London, Graf Metternich, nicht
lange vorher geschrieben: „Niemand wird imstande sein, den Engländern
beizubringen, daß eine deutsche Flotte von 38 Linienschiffen, 20 Panzer-
kreuzern und 38 kleinen geschützten Kreuzern mit den entsprechenden
Torpedobooten und Unterseebooten — der Sollbestand unserer schwim-
menden Streitkräfte nach Durchführung des Flottengesetzes im Jahre 1920
— für sie eine belanglose Sache ist. Was wir zur Rechtfertigung dieses
Tempos an technischen Argumenten vorbringen, macht die Engländer nur
noch mißtrauischer.‘‘ War schon dieser Brief des Deutschen Botschafters
in London, den ich beim Kaiser zum Vortrag gebracht hatte, von Seiner
Majestät ungnädig aufgenommen worden, so mißfielen ihm die Äußerungen
von Hardinge in noch höherem Grade. Ex post erschien ihm die ganze Unter-
haltung, die er mit dem genannten englischen Diplomaten gehabt hatte,
und insbesondere seine eigenen Ausführungen und sein eigenes Auftreten
in phantastisch übertriebenem und vergrößertem Licht.
Am folgenden Tage, dem 12. August 1908, erhielt ich von Seiner Majestät
ein langes, sehr langes Telegramm, in dem er mir das in Rede stehende Ge-
spräch in dramatischem Stil schilderte. Hardinge habe ihm von „grave
appreheusion“ gesprochen, die alle Kreise Englands über unsern Flottenbau
erfüllten. Das englische Volk sei darüber voll Aufregung und schwerer Be-
sorgnis. Er, der Kaiser, habe erwidert: „Dasist ja absoluter Blödsinn! Werhat
21 BülowDI
Gespräch
Wilhelms II.
mit Hardinge