322 HARDINGE „DIE ZÄHNE GEZEIGT“
Ihnen denn den Unsinn aufgebunden ?“ Als Sir Charles sich auf das authen-
tische Material der englischen Admiralität berufen habe, hätte er dem
Unterstautssekretär entgegnet: „Ihr Material ist falsch, ich biu Admiral
auch der englischen Flotte, die ich genau kenne, und verstehe das besser
als Sie, der Sie ein Zivilist sind und gar nichts davon verstehen.“ Als er
daraufhin den „Nauticus“‘ habe herunterholen lassen, ein von dem deut-
schen Reichsmarineamt herausgegebenes maurinetechnisches Handbuch,
und Sir Charles die vom „Nauticus“ veröffentlichten Tabellen mit den
Schiffsbaukurven vorgehalten hätte, da habe sich „sprachluses Erstaunen“
auf den Gesichtszügen des englischen Diplomaten ausgeprägt. Während
dieser Szene hätte der englische Botschalter in Berlin, Sir Frank Lascelles,
sich vor Lachen gar nicht zu halten gewußt. Sir Frank sei vom „Nauticus“
begeistert und akzeptiere rite dessen Anschauungen. Daun sei das Ge-
spräch mit Hardinge fortgesetzt worden. Dieser habe gefragt: „Can’t you
put a stop to your building? Or build less ships?“ Es möchte duch ein
Arrangement getroffen werden, um den Bau einzuschränken. Da habe er,
der Kaiser, erwidert: „Then we shall fight, for it is a question of national
honour and dignity.“ Dabei hätte der Kaiser dem englischen Diplomaten
„fest und scharf“ in die Augen gesehen, der habe einen „feuerruten“ Kopf
bekommen, einen Diener gemacht und um Entschuldigung gebeten für
seine „versehentlichen Bemerkungen“, die Seine Majestät ihm vergeben
und vergessen möge. Am Abend sei Sir Charles ein ganz anderer gewesen,
liebenswürdig und vergnügt, er habe sogar würzige Anekdoten erzählt.
Als er ihm schließlich den Roten Adlerorden I. Klasse verliehen habe,
wäre Hardinge „windelweich‘ geworden. „Die offene Aussprache mit mir,
in der ich ihm scharf die Zähne gezeigt habe, hat ihre Wirkung nicht ver-
feblt. Mit Eugländern muß man immer so verkehren.“ Beim Scheiden habe
der Kaiser den Unterstaatssekretär an seine, des Kaisers, letzte Guildhall-
Rede erinnert, an welche die englische Regierung sich zu halten habe,
und hinzugefügt: „Wenn der Kaiser spricht, macht er keine Phrasen. He
speaks what he means.“
Ich merkte diesem telegraphischen Erguß sogleich an, daß die Phan-
tasie Wilhelms Il. in maiorem gloriam suam einen Vorgang von der
Art der welthistorischen Szene zu konstruieren wünschte, die sich im
Juli 1870 in Ems zwischen Wilhelm I. und Benedetti abgespielt hatte.
Den Unterstaatssekretär Stemrich, der in diesen Tagen Vortrag hatte,
empfing der Kaiser mit den Worten: „Haben Sie mein Telegramm an
den Reichskanzler gelesen? Habe ich es Sir Charles nicht ordentlich
gegeben?“ In Wirklichkeit war das Zwiegespräch von Homburg, wie ich
später von deutschen Zuhörern erfuhr, gemütlicher verlaufen. Der Kaiser
und Hardinge hatten nebeneinander auf einem Billard gesessen. Hardinge