Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Der Ausbruch 
der Krise 
350 VOR DER GRELLEN DISSONANZ 
im Weltkrieg dem deutschen Heer einen seiner besten Führer stellte. Franz 
Stockhammern war in Augsburg bei den Benediktinern erzogen worden, 
dem edlen Orden, dessen Bienenfleiß schon das Mittelalter rühmte und 
dessen wahre Menschlichkeit und innerliche Bescheidenheit sich in der 
herrlichen Regel seines Stifters ausprägt: „Spernere mundum, neminem 
spernere, spernere sperni, spernere se ipsum“. Nach dem Vorbild und unter 
der Leitung der Benediktiner von St. Stefan hatte Stockhammern schon 
als Knabe sich die italienische Sprache so gründlich angeeignet, daß er sie 
fast wie seine Muttersprache sprach und schrieb. Ein längerer Aufenthalt 
in Spanien in einem dortigen Benediktinerkloster bot ihm die Gelegenheit, 
sich auch mit der spanischen Sprache und der reichen spanischen Literatur 
vertraut zu machen. Wiederholte Reisen nach Rom, wo er Vorlesungen an 
der Universitas Gregoriana hörte, machten aus ihm einen gründlichen 
Latinisten, d. h. einen Mann, der das Lateinische spricht und schreibt, wie 
man eine moderne Sprache spricht und schreibt, eine Fähigkeit, die in 
Italien noch ziemlich verbreitet, in Deutschland selten geworden ist. Mit 
so vielseitigen Kenntnissen, einem eisernen Fleiß und unermüdlicher Wiß- 
begierde verbindet Stockhammern den lautersten, zuverlässigsten Charak- 
ter, eine idealistische Weltanschauung mit praktischem Sinn. Ein treuer, ja 
schwärmerischer Sohn der katholischen Kirche, aber ohne jede Engherzig- 
keit oder Intoleranz, Bayer bis in die Fingerspitzen und dabei ein glühender 
deutscher Patriot, vereinigt Stockhammern diejenigen Eigenschaften, 
deren unser Volk bedarf, wenn es sich aus der Not und dem Elend der Gegen- 
wart wieder erheben soll. Franz Xaver von Stockhammern gehört mit 
Friedrich Wilhelm von Loebell zu den wenigen, allzuwenigen wirklich 
guten Menschen, mit denen mich das Schicksal zusammengeführt hat. 
In Regensburg schloß sich an den Festakt in der Walhalla ein Frühstück 
im Ratsstübl, bei dem es echt bayrische Weißwürstl und ausgezeichnetes 
Franziskaner-Bräu gab, dem ich ausnahmsweise, aber mit Vergnügen zu- 
sprach. Im Ratbause, wo hundertdreiundvierzig Jahre der Deutsche 
Reichstag tagte, mußte ich zum zweitenmal das Wort ergreifen und zum 
drittenmal abends bei dem Festessen im Regierungsgebäude. Der Regens- 
burger Tag, der mit einer freundlichen Huldigung schloß, die mir von einer 
großen Menschenmenge am Bahnhof dargebracht wurde, war ein letzter 
harmonischer Klang vor der grellen Dissonanz der „Daily-Telegraph“- 
Affäre. 
Als ich wieder in Berlin eintraf, fand ich einen Brief des Gesandten 
von Jenisch vor, in dem er mir meldete, daß die Begegnung zwischen dem 
Kaiser und dem österreichischen Thronfolger, die auf einer der vielen 
Herbstreisen des Kaisers stattgefunden hatte, diesmal einen besonders 
herzlichen Verlauf genommen habe. Das Verhältnis zwischen den beiden
	        
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