360 SCHÖN LEGT SICH ZU BETT
Viel jämmerlicher als die Entschuldigung des Legationsrats Klehmet
war der Rechtfertigungsversuch des Gesandten von Müller, den noch schwe-
rere Schuld traf als den Legationsrat Klehmet. Zunächst entschuldigte sich
Müller damit, daß er nicht Zeit gehabt hätte, meiner Weisung entsprechend
das Manuskript zu prüfen. Als ich ihn am nächsten Tage, und sehr nach-
drücklich, gefragt hätte, ob er die ganze Sache auch wirklich ernstlich und
genau geprüft habe, hätte er sich geschämt, mir zu sagen, daß er dies ver-
säumt habe. Bis zu meinem Rücktritt ließ er nichts weiter von sich hören,
versicherte aber dann meine Frau in einem weinerlichen Briefe seines
tiefsten Mitgefühls. Er wisse, wie sie gewöhnt sei, auch auf politischem
Gebiet Freud und Leid mit mir zu teilen. Die Kämpfe, die ich zu bestehen
hätte, erweckten deshalb seine, Müllers, innigste Teilnahme. Tröstend fügte
er hinzu, er erinnere sich bei diesem Anlaß der zahlreichen „Wohltaten‘,
die er schon seit einer langen Reihe von Jahren durch die ihm in meinem
Hause bewiesene, sich stets gleichbleibende Güte erfahren hätte. Sie träten
ihm immer neu vor die Seele. Er versichere uns seiner unwandelbaren
Dankbarkeit. „Sind die traurigen Stunden des Abschiednehmens von lieb-
gewordenen Beziehungen und Gepflogenheiten erst vorüber, so bin ich in
dem Gedanken beglückt, daß einesteils am Nordseegestade, wo die ver-
größerte Villa Ihrer harrt, teils in der Ewigen Stadt sonnigere Zeiten
winken.“
Am erbärmlichsten benahm sich der Staatssekretär von Schön. Er legte
sich einfach zu Bett. Seine belgische Gattin schrieb mir in einem ziemlich
mangelhaften Deutsch, ihr Mann habe „un arröt du caur“ erlitten. Ich
glaubte an einen lebensgefährlichen Herzkrampf und schickte meinen Arzt
und Freund Geheimrat Renvers zu Schön. Nach einer halben Stunde kehrte
Renvers lächelnd mit der beruhigenden Versicherung zurück, daß die Er-
krankung des Staatssekretärs nur Angst vor den Schwierigkeiten sei, in die
er durch seine Nachlässigkeit geraten sei. Er fürchte sich, das Auswärtige
Amt und dessen Geschäftsgang vor dem Reichstag zu verteidigen, er
fürchte sich noch mehr vor etwaigen Friktionen zwischen Kaiser und Kanz-
ler. Ich schickte Schön auf Urlaub und ließ den Gesandten in Bukarest,
Kiderlen-Wächter, nach Berlin kommen, um ihm die provisorische
Leitung des Auswärtigen Amts anzuvertrauen. Am unschuldigsten war der
Unterstaatssekretär Stemrich, der, erst kurze Zeit im Amt, den Fall nicht
genügend übersehen konnte. Der wackere Mann ist bald nachher erkrankt
und früh gestorben. Klehmet, der mir leid tat, habe ich noch vor meinem
Rücktritt als deutschen Delegierten der Internationalen Finanzkommission
in Athen untergebracht, wo er
im Schatten des Ölbaums,
wo flüsternd leis zu der Ulme sich neigt die Platane,