412 BÜLOW BELEURT DEN KRONPRINZEN
ähnlicher Weise Allerhöchst Seine Willensmeinung kundgegeben hat. Über
den Einzelfall hinaus gestatte ich mir Nachstehendes zu sagen: Mit Eurer
Kaiserlichen und Königlichen Hoheit stimme ich darin vollkommen über-
ein, daß es nicht ratsam ist, die eigene Friedensliebe zu oft zu betonen,
da das die anderen zu sicher macht. Vor allem bin ich davon durchdrungen,
daß, wo es sich um die Ehre des Landes handelt, coüte que coüte lusge-
schlagen werden muß, wie auch die Chancen liegen. Wo aber unsere Ehre nicht
engagiert ist, müssen wir uns doch immer fragen, was bei einem Kriege
herausschaut. Wir haben bei einem Krieg in Europa nicht viel zu gewinnen.
Mehr slawische und französische Elemente und Gebietsteile können wir
nicht brauchen. Durch die gewaltsame Inkorporierung kleiner Länder
würden wir nur die zentrifugalen Elemente verstärken, die in Deutschland
leider obnehin nicht fehlen. Alles das würde uns natürlich an einem Krieg
nicht hindern, wenn er uns aufgedrungen wäre oder unsere Ehre ihn ver-
langte. Aber der Kriegsfrage gegenüber bleibt Vorsicht geboten. In den
Jahren 1866 und 1870 winkte uns ein großer Preis. Von einem solchen ist
jetzt nicht die Rede. Vor allem darf nicht vergessen werden, daß man in
unserer Zeit Kriege nur dann führen kann, wenn das Volk davon überzeugt
ist, daß der Krieg notwendig und daß er gerecht ist. Ein in frivoler und
leichtsinniger Weise hervorgerufener Krieg würde, selbst wenn er glücklich
ausliefe, im Innern nicht günstig wirken. Ein Krieg, der, in solcher Voraus-
setzung, schief ausginge, würde nach menschlicher Voraussicht eine Kata-
strophe für die Dynastie bedeuten. Die Geschichte lehrt, daß auf jeden
großen Krieg eine liberale Ära folgt, denn die Völker verlangen für die
große Anstrengung, die der Krieg ihnen auferlegt, entschädigt zu werden.
Ein unglücklicher Krieg aber zwingt die Dynastie, die ihn geführt hat,
mindestens zu Konzessionen, die ihr vorber unerträglich erschienen wären.
Ich erinnere an die Zugeständnisse, die Seine Majestät der Kaiser Franz
Josef nach 1859 und dann nach 1866 hat machen müssen, und an die
Konsequenzen, die der Japanische Krieg für Rußland gehabt hat. Deshalb
hat Fürst Bismarck, der selbst die Verantwortung für zwei große Kriege
auf sich genommen hat, um so eindringlicher vor Kriegen gewarnt, die
nicht durch die Staatsräson und durch vitale Interessen des Landes ge-
boten waren. Er hat namentlich davor gewarnt, Zwischenfälle, wie sie
sehr häufig sich ereignet haben, zu dramatisch zu nehmen. Die Stimmung
in der Armee kann da nicht allein maßgebend sein. Es ist gewiß gut und in
der Ordnung, wenn die Armee immer bereit ist, vom Leder zu ziehen: so
muß sogar die Armee denken. Aber die Aufgabe der politischen Staats-
leitung ist es, sich auch die politischen Folgen klarzumachen. Quidquid agis
prudenter agas et respice finem! Im Jahre 1875 waren manche Militärs der
Ansicht, wir sollten Frankreich, wo der Chauvinismus sich wieder zu regen