„MIT GEDULD UND TAKT“ 29
nicht daran, Deutschland isolieren zu wollen. Ich wünsche im Gegenteil,
die Reibungsflächen zwischen allen Großmächten zu verringern und Europa
für möglichst lange Zeit den allgemeinen Frieden zu sichern, der ebenso-
sehr im deutschen wie im englischen Interesse liegt. Ich werde trachten,
auch zwischen England und Rußland die Reibungsflächen zu verringern.
Der Friede ist eine Notwendigkeit für alle Völker, die alle unter der Last
ihrer Rüstungen und Steuern seufzen.“ Beiläufig äußerte der König, er
würde es beklagen, wenn es im näheren Orient zu Unruhen käme. „Ich bin
überall für Ruhe. Mit dem Sultan und den Türken ist freilich nicht mehr
viel anzufangen. Der erstere ist unbelehrbar, und die letzteren haben sich
überlebt. Die Zukunft auf der Balkanhalbinsel gehört den Rumänen,
Griechen und Bulgaren.“ Mit großer Liebe sprach König Eduard von seiner
Nichte, der Kronprinzessin Maria von Rumänien. Er verstünde nicht recht,
weshalb Kaiser Wilhelm sich über diese seine leibliche Kusine überall so
wenig freundlich äußere. Ein wenig Koketterie, hier und da ein kleiner
Flirt wären einer jungen und hübschen Frau wohl zu gönnen. Übrigens
pflege in solchen Fällen die Fama meist zu übertreiben. Unfreundliche
Äußerungen des Kaisers über die Kronprinzessin von Rumänien wären ihr
binterbracht worden und hätten sie gegen Seine Majestät verstimmt.
„Ihren Mann natürlich auch“, fügte der König lächelnd hinzu. „Man tut
gut, nicht überall den Schulmeister zu spielen.“ Die inneren russischen
Verhältnisse beurteilte König Eduard sehr pessimistisch, General Bobrikow
verglich er mit dem Landvogt Geßler. Über Kaiser Nikolaus sprach er mit
verwandtschaftlicher Zuneigung. Der König beendete die Unterredung, die
durch ihre Länge den Kaiser zu präokkupieren schien, der aber nicht ein-
griff, sondern außer Hörweite auf dem Achtersteven des „Meteor“ den
anwesenden Marineleuten Vorträge über Schiffsbau hielt, mit den ruhig
und bestimmt gesprochenen Worten: „Mit Geduld und Takt werden
beide Völker allmählich wieder zu einem besseren gegenseitigen Verständ-
nis gelangen. Ich habe persönlich nach wie vor Vertrauen zu Ihnen, zu
Ihrer aufrichtigen Friedensliebe und zu Ihrer Geschicklichkeit.“
Wenn ich mir diese Unterredung, die ich ihrer historischen Bedeutung
wegen auf Grund einer sofortigen Aufzeichnung fast wörtlich wiedergegeben
habe, rückschauend vergegenwärtige, so steht für mich heute wie damals
fest, daß es das eifrigste Bestreben des Königs Eduard war und blieb,
Deutschland und Rußland auseinanderzuhalten. Er war gewiß bemüht,
im Hinblick auf alle Möglichkeiten der Zukunft die englischen Beziehungen
zu Frankreich wie zu Rußland, aber auch zu Amerika und zu Japan, zu
Italien und zu Spanien sorgsam zu pflegen. Ich habe schon einmal, bei der
Besprechung der Pariser Weltausstellung von 1878, ausgeführt, daß König
Eduard, obschon er rein deutscher Abstammung war, von väterlicher Seite