Bülow stellt an
den Kaiser die
Vertrauens-
Srage
446 DEN STIER BEI DEN HÖRNERN FASSEN
sprechenden Form, d. h. mit der Erbschaftssteuer, durchzubringen, anderer-
seits auch um ein Flottenabkommen mit England vor meinem Rücktritt
und für alle Eventualitäten der Zukunft unter Dach und Fach zu bringen,
mußte mein persönliches Verhältnis zum Kaiser geklärt werden.
Ich beschloß, den Stier bei den Hörnern zu fassen. Nachdem ich am
11. März 1909 dem Kaiser über die auswärtige Lage Vortrag gehalten hatte,
bat ich, mir noch einen Augenblick in persönlicher Angelegenheit Gehör
zu schenken. Ich hätte die Empfindung, daß er, der unmittelbar nach den
Novemberereignissen von der Richtigkeit und namentlich von der abso-
luten Loyalität meiner Haltung überzeugt gewesen wäre, mir seitdem nicht
mehr in dem früheren Maße sein Vertrauen entgegenbrächte. Ob und von
welcher Seite ich verleumdet worden sei, wolle ich nicht erörtern. Ich könne
mein schweres Amt nur weiterführen, wenn ich das volle Vertrauen meines
kaiserlichen Herrn besäße. Ich möge in dieser oder jener Einzelheit geirrt
haben. Niemand sei unfehlbar. Ich hätte aber niemals etwas anderes
gewollt, als einen dauernden Zwiespalt zwischen dem Träger der Kaiser-
krone und dem deutschen Volke verhindern. Mein ganzes Streben sei
darauf gerichtet gewesen, dem Kaiser das Vertrauen der Bundesfürsten zu
erhalten, die Fürsten und die erregten Gemüter gerade der Gutgesinnten in
Deutschland zu beruhigen, Seiner Majestät die Liebe seines Volkes
zu wahren. Ich hätte immer das Ziel vor Augen gehabt, das Schiff
so zu führen, daß, wenn der Sturm vorüber, der Kaiser bei den
deutschen Fürsten wie bei dem deutschen Volke an Vertrauen und Liebe
nicht verloren, sondern gewonnen hätte. Wenn aber das Vertrauen Seiner
Majestät zu mir irgendwie gelitten habe, so möge der Kaiser mich in
Gnaden entlassen. Er könne das ruhig tun. Ich würde weder frondieren,
noch ihm sonst Unannehmlichkeiten bereiten, sondern mit dem aufrichtigen
Wunsche scheiden, daß ihm eine lange, ruhmreiche und glückliche Regierung
beschieden sein möge.
Seine Majestät dankte mir für meine Offenheit. Es sei ihm lieb, auch
seinerseits seinem Herzen Luft machen zu können. Er habe allerdings den
Eindruck gehabt, ich hätte gegenüber den Angriffen, denen er ausgesetzt
gewesen sei, nicht genügend darauf hingewiesen, daß alle gegen ihn
erhobenen Vorwürfe völlig unbegründet gewesen wären. In dem Gespräch,
das sich jetzt entwickelte, sagte ich Seiner Majestät in Ehrfurcht, aber
offen, daß scine während seines Besuchs in England verschiedenen Personen
gegenüber gemachten Eröffnungen, die in dem Artikel des „Daily Tele-
graph‘ von dem Oberst Stuart Wortley zusammengefaßt worden seien,
geeignet gewesen wären, im Inland die Gemüter zu erregen und uns gegen-
über dem Ausland ernste Schwierigkeiten zu bereiten. Seine Majestät
erwiderte: er habe mir seinerzeit aus England alles geschrieben oder