Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE AUSSPRACHE MIT S.M. 447 
telegraphiert, was in dem Artikel des „Daily Telegraph“ stände. Als ich 
das auf das entschiedenste bestreiten mußte, meinte der Kaiser, er habe es 
mir entweder vorher angekündigt oder nachträglich erzählt. Als ich auch 
das wahrheitsgemäß nicht zugeben konnte, brachte Seine Majestät die Rede 
auf die allgemeine Ungerechtigkeit, die in seiner Beurteilung so oft hervor- 
trete. Ich wies an einer Reihe von Vorgängen der letzten Jahre nach, daß 
nicht nur die öffentliche Meinung, sondern auch die Bundesregierungen 
durch manche Antezedenzien (Swinemünder Depesche, Fall Lippe, ver- 
schiedene Reden usw.) beunruhigt worden seien. Darauf hätte ich ihn schon 
früher mehr als einmal hingewiesen und ihn um mehr Vorsicht und Zurück- 
haltung gebeten. Die in Deutschland nach und nach entstandene Verstim- 
mung habe sich während der Novembertage zu einem glücklicherweise nur 
kurzen Gewitter verdichtet, bei dem gewiß Übertreibungen und Ungerech- 
tigkeiten mit untergelaufen wären. Seine Majestät erinnerte sich dieser Vor- 
gänge, insbesondere der Swinemünder Depesche, deren Existenz er anfäng- 
lich bestritt, nicht im einzelnen und fand, daß sie jedenfalls sehr auf- 
gebauscht worden wären. Als ich nochmals bat, mich gehen zu lassen, 
sofern Seine Majestät irgendwie Grund zu Unzufriedenheit oder zu Tadel 
zu haben glaube, erklärte mir der Kaiser, daß davon nicht die Rede sein 
könne. Nicht nur hätte ich ihm während langer Jahre in so vielen schweren 
Lagen ausgezeichnete Dienste geleistet, sondern auch gerade in diesem 
Winter „in meisterhafter Weise‘ die auswärtige Politik geleitet. Er wisse 
auch, daß meine Absichten immer die besten und reinsten gewesen seien. Er 
lasse sich nicht an mir irremachen. Die Unterredung schloß, indem ich 
Seiner Majestät meinen herzlichen Dank für das gnädige Vertrauen aus- 
sprach und Seine Majestät mich seines vollsten Vertrauens versicherte, 
Ich gebe im Vorstehenden wörtlich die Aufzeichnung wieder, die ich 
noch am gleichen Tage zu den Akten nahm. Die ganze Unterhaltung wurde 
von Seiner Majestät in freundlichster Form, von mir mit der denkbar 
größten Ruhe geführt. Die Anerkennung, die der Kaiser die Güte hatte 
mir bei diesem Vortrag zu spenden, habe ich in meinem Diktat cher abge- 
schwächt. Ich erinnere mich, daß der Kaiser wiederholt äußerte, ich sei 
„ein Meister der auswärtigen Politik“, und er wisse gar nicht, was ohne mich 
aus der auswärtigen Politik werden solle. Die Unterredung fand ambulando 
im Weißen Saal des Berliner Schlosses statt. Als der Vortrag zu Ende 
war, unterhielt sich der Kaiser noch einige Zeit in liebenswürdiger Weise 
mit mir über die Verschönerungen, die er im Weißen Saal, der histo- 
rischen Stätte so vieler bedeutsamer Ereignisse der preußischen Ge- 
schichte, vorgenommen habe. „Auch das ist Ihr Verdienst‘, meinte er, 
„da Sie uns den Frieden erhalten haben, der es mir ermöglicht, die Künste 
zu pflegen.“ 
Diktat Bülows 
über die 
Unterredung
	        
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