Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

„IST ER WENDIC" 455 
werden. Nach einigen Tagen hörteich aus der Umgebung Seiner Majestät, daß 
Harnack durch seinen baltischen Landsmann und intimen Freund Theodor 
Schiemann dem Kaiser habe sagen lassen, er würde eine Einladung bei mir 
nicht angenommen haben, wenn sie nach meiner Novemberrede an ihn er- 
gangen wäre; er sei aber schon vorher von mir eingeladen worden und habe 
nicht wohl nachträglich absagen können. Diese Entschuldigung war nicht 
einmal wahr, Harnack war nach der Novemberdebatte von mir zu Tisch 
gebeten worden, aber unmittelbar nach unserem kleinen Symposion bekam 
er es mit der Angst. Die Ratten verließen das sinkende Schiff. 
Inzwischen schleppten sich die Verbandlungen in der Finanz- 
kommission des Reichstags langsam und mühsam fort, wie in der alten 
guten Zeit zwischen Oranienburg und Berlin im märkischen Sande die 
Postkutsche, mit der ich als Primaner aus den im Elternhaus in Neu- 
Strelitz verlebten Ferien auf das Pädagogium zu Halle, das alte gute „„Päd- 
chen“, zurückkehrte. Sydow besaß nicht die Gabe, auszugleichen, über 
Schwierigkeiten wegzuleiten, das zu ersinnen und durchzuführen, was die 
Italiener „una combinazione“ nennen. Bismarck pflegte, wenn man ihm 
jemand zu einer leitenden Stellung vorschlug, zu fragen: „Ist er wendig?“ 
Sydow war gar nicht wendig. Bismarck pflegte auch zu sagen, in gewissen 
Situationen müsse ein Minister „flöche de tout bois“* machen. Als er diese 
Maxime einmal während der Konfliktszeit gegenüber dem damaligen Kron- 
prinzen zum Ausdruck brachte, war dieser in seiner durch und durch gewis- 
senhaften, edlen und ganz und gar ethischen Art darüber entsetzt. Aber für 
die Verhandlungen der Finanzkommission war das Bismarcksche Wort zu- 
treffend. Sydow war weder wendig noch „un homme a expedients“. Dazu 
kam, daß er, ohne in bösem Sinne zu kleben, doch gern, sehr gern „ein 
großes Tier“ bleiben wollte, wie man das in Berlin nannte. Das ist ihm auch 
gelungen. Als Sydow als Staatssekretär des Reichsschatzamts in der Frage 
der Erbschaftssteuer umgefallen war, schlug ihn nach meinem Rücktritt 
der Sydow seelenverwandte Bethmann Hollweg zum Handelsminister vor, 
als welcher er den zum Staatssekretär des Innern avancierten Clemens 
Delbrück ersetzte. Wilhelm II. war Sydow wohlgesinnt, besonders seitdem 
ihm Bethmann Hollweg gesagt hatte, daß Sydow geäußert habe: „Ich reiche 
meinen Abschied überhaupt nicht ein, ich warte, bis Seine Majestät ihn mir 
gibt.“ Sydow überdauerte als Minister alle seine Kollegen und hat, wenn ich 
mich nicht irre, als letzter preußischer Minister den Schwarzen Adlerorden 
erhalten, im Herbst 1918, kurz vor der Flucht Wilhelms II. nach Holland. 
Die Schwierigkeiten in der die innere Politik beherrschenden Frage der 
Reichsfinanzreform kamen vor allem von den Konservativen. Bismarck 
hat einmal gemeint, Parteipolitiker scheuten in der Politik nicht vor Hand- 
lungen zurück, die sie als Privatleute im Privatleben als unanständig weit 
Schwierig- 
keiten in der 
Finanz- 
konmission 
Opposition der 
Konservativen
	        
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