Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

456 DER KRAKEELER HEYDEBRAND 
von sich beweisen würden. Das trifft auf das Verhalten der Konservativen 
mir gegenüber im Winter 1908/1909 zu. Als die von Wilhelm II. in High- 
cliffe geführten unvorsichtigen Gespräche bekannt wurden, waren die 
Konservativen die ersten gewesen, die in dem erwähnten Artikel der 
parteioffiziösen „Konservativen Korrespondenz“ die Alarmglocke läuteten. 
In der Reichstagsdebatte vom 10. und 11. November hatten sich die kon- 
servativen Redner weit schärfer als die Vertreter anderer Parteien, schärfer 
als die Sozialisten Heine und Singer über die kaiserlichen Entgleisungen 
ausgesprochen. Wenige Tage später, als die Konservativen, denen es nie- 
mals an Beziehungen zum Hof fehlte, gehört hatten, daß es nicht ganz 
sicher sei, ob mir der Kaiser meine Haltung in der Novemberdebatte nicht 
nachträglich übelnehmen würde, erklärte dieselbe „Konservative Korre- 
spondenz“, ich hätte den Kaiser besser in Schutz nehmen sollen. Das 
Hauptorgan der Konservativen, die „Kreuz-Zeitung“, und die agrarische 
„Deutsche Tageszeitung“ machten zwar gegen diese perfide Insinuation 
Front, aber es war klar, daß Herr von Heydebrand die Segel umstellte. 
Ernst von Heydebrand und der Lasa auf Klein-Tschunkawe in Ober- 
schlesien, damals 58 Jahre alt, war ein Mann von hoher Begabung, voll 
geistiger Interessen, sehr kenntnisreich. Er hatte viel gelesen und noch 
mehr, was wichtiger ist, über das Gelesene nachgedacht. In allen Staats- 
wissenschaften, im Staatsrecht und Verwaltungsrecht, in Nationalökonomie 
und Finanzwissenschaft war er wohlbewandert. Er interessierte sich für 
Geschichte und sogar für Philosophie. Er war einer der schlagfertigsten 
Redner, die mir vorgekommen sind. Er sprach oft scharf, aber nie banal und 
noch weniger roh, immer als hochgebildeter Mann und in gewählter Form. 
Er war ein Charakter. Mit seinen Fähigkeiten hätte erim Verwaltungsdienst 
eine große Zukunft gehabt. Er hatte einige Jahre bei der Regierung in 
Oppeln unter Graf Robert Zedlitz gearbeitet, dem seine Begabung auffiel. 
Von 1887 bis 1895 war er Landrat von Militsch-Trachenberg, in welcher 
Stellung er sich beständig mit den beiden größten Grundbesitzern seines 
Kreises, dem Grafen Andreas von Maltzan-Militsch und dem Fürsten 
Hermann von Hatzfeldt-Trachenberg, stritt. Er war ein Krakeeler. 1895 
schied er freiwillig aus dem Staatsdienst aus, um für seine parlamentarische 
Tätigkeit volle Ellbogenfreiheit zu haben. Ich habe mich oft über ihn 
geärgert, persönlich unsympathisch ist er mir nie gewesen. Aber die partei- 
politischen Gesichtspunkte standen für ihn in erster Linie, vielleicht ohne 
daß er sich hiervon selbst Rechenschaft ablegte. Er substituierte die 
Staatsräson dem Interesse seiner Partei, und wie er davon überzeugt war, 
daß für Preußen und damit auch für Deutschland das Heil nur von einer 
ausgesprochen konservativen Politik zu erwarten wäre, so hielt er sich 
selbst für den besten, wenn nicht den einzig richtigen Vertreter und Leiter
	        
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