Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE HERRSCHAFT DER KONSERVATIVEN 457 
einer solchen Politik. Nicht als ob er je hätte Minister werden wollen. Er 
würde eine solche Aufforderung mit Entrüstung, jedenfalls mit Gereiztheit 
abgelehnt haben. Aber er wollte hinter den Kulissen die innere Politik 
dirigieren. Herr von Heydebrand war von sehr kleiner Statur. Der alte 
Georg von Köller, langjähriger Präsident des Abgeordnetenhauses, das 
wackere Urbild eines pommerschen Junkers von altem Schrot und Korn, 
pflegte zu sagen, es wäre das Unglück von Heydebrand, daß er so klein sei. 
Er wolle immer beweisen: „Klein, aber oho!“ Der spätere Minister des 
Innern Friedrich von Moltke meinte gelegentlich, wenn er etwas von 
Heydebrand erreichen wolle, richte er es so ein, daß die Unterredung von 
ihm sitzend, von Heydebrand stehend geführt würde. Andernfalls wäre 
Heydebrand dem baumlangen Moltke gegenüber von vornherein in einer 
pikierten Stimmung. In der letzten Zeit vor meinem Rücktritt kam es Heyde- 
brand vornehmlich auf zwei Punkte an. Er wollte im Abgeordnetenhause die 
Alleinherrschaft der Konservativen nicht erschüttern lassen, und er wollteim 
Reichstag nichts von Erbschafts- oder Nachlaßsteuer wissen, um nicht den 
Bund der Landwirte zu verstimmen, der eine Hauptstütze seiner Macht war. 
Ende April 1909 fand eine Besprechung zwischen mir und dem Prä- 
sidenten des Herrenhauses, dem Freiherrn Otto von Manteuffel, Herrn 
von Heydebrand und Herrn von Normann statt, über deren Verlauf mir 
die nachstehende Registratur für die Akten vorgelegt wurde: „Der Herr 
Reichskanzler führte etwa folgendes aus: Er höre, daß die Herren für Frei- 
tag, den 30. dieses Monats, den weiteren Vorstand (Fünfziger-Ausschuß) der 
Konservativen Partei zusammenberufen hätten, um zur Reichsfinanz- 
reform Stellung zu nehmen. Er wisse nicht, welche Beschlüsse sie vor- 
schlagen wollten. Nach den Artikeln der konservativen Presse müsse er 
aber befürchten, daß sie die Partei gegen die erweiterte Erbschaftssteuer 
festlegen wollten, deswegen halte er es für seine Pflicht, sie über die poli- 
tische Situation aufzuklären. Es sei ihm, dem Kanzler, sicher, daß, wenn 
die konservative Partei sich mit ihrem Widerstand gegen die Erbschafts- 
steuer festlege, für ihn das Zustandebringen der Finanzreform unmöglich 
sei, aus sachlichen und persönlichen Gründen. Übereinstimmung bestehe 
darüber, daß bei Fünfhundert-Millionen-Bedarf hundert Millionen auf 
den Besitz gelegt werden sollen. Über die Art der Besitzsteuer sei viel 
debattiert und geschrieben worden. Auch ihm, dem Kanzler, sei eine Erb- 
schaftssteuer an und für sich wenig sympathisch. Es sei für ihn ein schwerer 
Entschluß gewesen, seine Ansicht zu ändern, aber er sei dazu gezwungen 
worden von einer „dira necessitas“. Hätten wir inzwischen einen Krieg 
gehabt oder einen neuen Aufstand in Südwestafrika, so hätte er ebenso 
handeln müssen. Es gebe nach der Ansicht der verbündeten Regierungen 
und insbesondere der größeren Bundesstaaten keine andere ausreichende 
Besprechung 
mit den 
konservativen 
Führern
	        
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