Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

UNTER VIER AUGEN 459 
Programms durchführen können. Er, Fürst Bülow, habe es als seine Pflicht 
angesehen, zwischen Krone und Konservativen wieder normale Beziehun- 
gen herzustellen. Er wolle keine Reform gegen die Konservativen, mache 
aber auch keine mit Zentrum und Polen. Wenn die Reform scheitere, so 
hätten die Konservativen die Verantwortung und müßten ihr Programm 
zur Geltung bringen. Es werde jetzt vielfach Auflösung vorgeschlagen. Er 
könne dem Kaiser die Auflösung nicht mit gutem Gewissen vorschlagen, 
weil sie zur Dezimierung der Konservativen und zur Wiedererstarkung der 
Sozialdemokraten führen würde, die durch seine, des Kanzlers Politik in 
ihrem bisherigen Siegeslauf aufgehalten, geschwächt, diskreditiert und bei 
den letzten Wahlen halbiert worden wären. Das würde seiner ganzen bis- 
herigen Politik widersprechen. Er werde dem Kaiser nur Ratschläge 
erteilen, die sich mit seinen Grundsätzen vereinten. Und nun bitte er um 
Beantwortung seiner vorhin gestellten Fragen. Die drei Herren erwiderten 
ad eins: sie hofften für die von ihnen perhorreszierte Erbschaftssteuer eine 
geeignete Ersatzstcuer auf den Besitz zu finden, die vorzugsweise die Börse 
treffen müsse; ad zwei: sie hielten die Reform nicht ohne das Zentrum für 
durchführbar; ad drei: darüber erlaubten sie sich kein Urteil.“ 
Bedeutsamer war eine Unterredung, die ich einige Tage später unter vier 
Augen mit Herrn von Heydebrand hatte. Er setzte mir auch hier ausein- 
ander, daß er weder für die Erbschaftssteuer noch für irgendeine Verände- 
rung des preußischen Wahlrechts zu haben wäre. Er müsse sich 
nach den Wünschen und Überzeugungen seiner Parteigenossen richten, und 
die wollten weder von einer Reform des preußischen Wahlrechts noch von 
Nachlaß- oder Erbschaftssteuer etwas wissen. Ich sagte ihm, daß sein Stand- 
punkt mich an eine Äußerung des Pariser Polizeipräfekten Caussiditre 
erinnere. Der sei im Jahre 1848, gefolgt von einer Anzahl unrubiger Ele- 
mente, über die Boulevards gezogen. Von einem Freunde gefragt, wie er 
eine solche Demonstration mit solchen Elementen unternehmen könne, 
hätte er geantwortet: „Je suis leur chef, il faut que je les suive.“ Ich fuhr 
dann fort: „Sie glauben unsere innerpolitischen Verhältnisse besser zu 
kennen als ich. Ich will das gar nicht bestreiten. Mein langer Aufenthalt 
im Ausland macht, daß ich nicht in allen Schlupfwinkeln und Irrgängen 
unserer Parteipolitik so Bescheid weiß wie Sie. Aber glauben Sie mir, ich 
sehe weiter als Sie. Sie wollen die Verbindung zwischen den Konservativen 
und den Nationalliberalen lösen, unbekümmert darum, daß Bismarck auf 
das Zusammengehen gerade dieser Parteien immer den größten Wert gelegt 
hat. Sie glauben besser zu fahren, wenn Sie sich dem Zentrum an den Hals 
werfen. Ich habe an und für sich gar nichts gegen das Zentrum. Im Gegen- 
teil! Ich denke an das Zentrum zurück wie an eine alte Geliebte, von der 
man sich nur ungern trennte und für die man noch immer etwas übrighat. 
Mi 
Heydebrand 
allein
	        
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