DER BLAUE AFFE 35
„Ich habe heute an anderer Stelle über den Eindruck berichtet, den
der Kieler Besuch des Königs Eduard in England gemacht bat. Prince
of Wales, Herzog von Connaught, die Prinzessinnen, alle sprachen sich mir
gegenüber sehr erfreut über diesen erfolgreichen Besuch aus. Aber nicht nur
am Hof, sondern überall höre ich von Kiel als ‚a great success‘ reden. Sie
wissen, ich gebe im allgemeinen auf Klatsch und Tratsch nicht schr viel
und bin Kombinationen, die keine solide Basis haben, nicht sehr geneigt.
Es unterliegt mir aber keinem Zweifel, daß wir es schon länger mit einer
geheimen Verschwörung zu tun haben, die gegen die deutsch-englische Ver-
ständigung gerichtet ist. In der Publizistik, besonders in den Revuen, finde
ich mitunter Angaben, die nur auf fremde diplomatische Einflüsterungen
zurückzuführen sind. Der Engländer, auch der gebildete, ist geneigt, von
seinen Monatsschriften anzunehmen, daß sie keinen politischen Einfluß aus-
üben, weil sie nur von wenigen gelesen werden. Ich bin nicht der Ansicht.
Von wenigen geht der Impuls aus, der sich auf die Menge überträgt, und
selbst die abstrakten Gedanken der Wissenschaft, wenn sie tief und packend
sind und eine Wahrbeit enthalten, formieren das Geschlecht der Zeitgenos-
sen, die jene ursprünglich kaum kannten noch verstanden. Den Anonymus
des Revueschreibers habe ich häufig auf seinen richtigen Namen zurück-
geführt, über seinen dahinterstehenden Informanten bleibt aber der Schleier
gedeckt. Vor Kiel wurde ein allgemeiner Anlauf unternommen, uns zu ver-
dächtigen und vor uns zu warnen, nicht nur in den politischen Zeitschriften,
sondern auch bei Hofe. Ich weiß bestimmt, daß starke Einflüsse auf König
Eduard eingewirkt haben, um ihn von Kiel abzuhalten. Unter den Diplomaten
gibt es nur drei, die das Ohr des Königs haben: der Portugiese Soveral,
der Österreicher Mensdorff und der Russe Benckendorff. Soveral ist
nicht intrigant, auch nicht deutschfeindlich, und könnte uns sogar sehr
nützlich sein, wenn er nicht glaubte, an höchster Stelle bei uns zu miß-
fallen und gesnobbed worden zu sein. Ich weiß, daß Seine Majestät ein
starkes Vorurteil gegen ihn hat. Ich bedauere dies und möchte glauben,
daß Seine Majestät nicht immer richtig über Soveral informiert worden ist.
Wie alle Südländer und auch wie mancher Nordländer ist er eitel, und wenn
ich wüßte, daß er in Berlin auf der Durchreise gut behandelt würde (das
heißt von Seiner Majestät), so würde ich ihn gelegentlich durch Hans
Heinrich Pleß nach Fürstenstein einladen lassen. Ohne daß er von Seiner
Majestät empfangen wird, würde er, soweit ich ihn beurteilen kann, nicht
nach Berlin reisen. Die Zeiten, wo er der ‚blaue Affe‘ war, sind vorüber,
und er ist jetzt eine nicht unwichtige und allgemein beliebte Persönlichkeit,
die für uns hier vielleicht von großem Nutzen sein könnte, insofern, als er
Verdächtigungen und Beschuldigungen entgegentreten würde, die er jetzt
laufen läßt, wenn er, bei der Eitelkeit gefaßt, von Seiner Majestät gut und
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