Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

494 EIN BINTERTREPPENROMAN 
und gute Frau, sehr verschieden von ibrem üblen Gatten. Die Kaiserin 
Auguste Viktoria, die das war, was die Heilige Schrift eine fröhliche Kinder- 
mutter nennt, interessierte es sehr, eine Frau zu schen, die so Großes für 
die Volksvermehrung geleistet hatte. Am ärgsten trieb es der Zeremonien- 
meister Eugen Röder. Er hatte heimliche Zusammenkünfte mit meinem 
heftigsten Gegner im Zentrum, dem später viel genannten Matthias Erz- 
berger, dem er auseinandersetzte, daß der Kaiser mir innerlich feindlich 
gesinnt sei und sehr erfreut sein würde, wenn es dem Zentrum gelänge, 
mich zu stürzen. Der Abgeordnete von Biberach, damals noch nicht vier- 
unddreißig Jahre alt, wurde dadurch zu einer sehr heftigen Rede veranlaßt, 
in der er mich unter Anspielung auf ein bekanntes Gedicht von Ludwig 
Uhland mit dem schlechten Knecht verglich, der seinen edlen Herm 
erstach, weil er selbst gern Ritter sein wollte. Das ließ sich als Witz allen- 
falls hören, wenn es auch nicht geistreich war, wie die schon erwähnten 
Artikel des Pariser „‚Figaro“‘, in denen ich mit Gonthram-le-Bose verglichen 
worden war. Ganz plump war ein Pamphlet, das Rudolf Martin gegen mich 
vom Stapel ließ. Hier wurde im Stil und mit den Mitteln eines Hinter- 
treppenromans meine Verworlenheit enthüllt. Ich hätte den Kaiser dazu 
verleitet, in England die Äußerungen zu tun und die Gespräche zu führen, 
die ich dann absichtlich durch den Artikel des „Daily Telegraph‘ zur all- 
gemeinen Kenntnis gebracht habe. Mein Plan sei gewesen, den auf diese 
Weise kompromittierten Kaiser durch den von mir ad hoc gebildeten Block 
absetzen zu lassen. Zweck und Ziel des Ganzen: die Proklamierung der 
Republik unter meiner Präsidentschaft. Ich erinnere mich nicht mehr an 
den Titel dieses Machwerks und auch nicht genau an seinen Inhalt. Solche 
Schmähschriften haben mir übrigens nie den mindesten Eindruck gemacht, 
die Martinsche so wenig wie das dreizehn Jahre später erschienene. noch 
dümmere Pamphlet des Professors Dr. Johannes Haller in Tübingen. Gegen- 
über derartigen Angriffen tröstete ich mich mit dem Verschen von Goethe, 
daß, wo sogar der große Walfisch seine Laus habe, der kleinere Mensch sich 
über Insektenstiche nicht aufzuregen brauche. Immerhin war es kein gutes 
Symptom, daß der Kaiser das Martinsche Pamphlet mehrfach als ein ganz 
gutes Buch empfohlen hatte, das ein neues Licht auf die Novemberkrisis 
von 1908 werfe. 
Wie stimmte das zu der freundlichen Haltung Seiner Majestät mir 
gegenüber? Wie stimmte es namentlich zu den Allerhöchsten Marginalien ? 
Ich glaube nicht, daß von seiten des Kaisers bewußte Falschheit, absicht- 
liche Doppelzüngigkeit vorlag. Er war kein Louis XI von Frankreich und 
noch weniger, trotz der törichten Schrift, die bald nach seinem Regierungs- 
antritt unter dem Titel „„Caligula“ der freisinnige Professor Quidde über 
ihn veröffentlicht hatte, ein vom Cäsarenwahnsinn erfaßter römischer
	        
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