Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

506 DIE ERBANFALLSTEUER ABGELEHNT 
vom Gesetzentwurf nichts mehr übrig sei und es also nicht zur dritten 
Lesung kommen könne. Bei der nun folgenden Abstimmung über die 
Erbanfallsteuer stimmten die Nationalliberalen, Freisinnigen und Sozial- 
demokraten geschlossen für die Erbanfallsteuer, gegen sie geschlossen 
Zentrum und Polen. Die Konservativen stimmten überwiegend mit „Nein“. 
Ich möchte die Namen der Konservativen nennen, die für die Erbanfall- 
steuer stimmten und damit als Patrioten und Ehrenmänner das Staats- 
interesse über den engen Fraktionsstandpunkt stellten. Es waren die Abge- 
ordneten von Kaphengst, Fürst Hohenlohe-Oehringen, Pauli (Potsdam), 
Arnold (Reuß ä.L.) und zwei Sachsen: Wagner (Freiberg) und Giese 
(Oschatz-Grimmen). Von den Nationalliberalen drückten sich die Abge- 
ordneten Cornelius Heyl zu Herrnsheim und Graf Waldemar Oriola um die 
Abstimmung, da sie sich persönlich alle Wege offenzuhalten wünschten und 
nirgends anstoßen wollten. Von der Wirtschaftlichen Vereinigung und der 
Reformpartei stimmten die Antisemiten Liebermann von Sonnenberg, 
Bindwald, Köhler und die beiden Brüder Vogt gegen mich. Die Erbanfall- 
steuer wurde mit 195 gegen 187 Stimmen abgelehnt. Ich hatte während der 
Rede des Abgeordneten Hertling den Saal verlassen. Ich ging zu Fuß durch 
den Tiergarten nach Hause. Ich fühlte mich frei von Erregung und Un- 
sicherheit. Der Mensch ist innerlich ruhig, wenn er mit sich selbst im reinen 
ist: 
„Denn Recht hat jeder eigene Charakter, 
Der übereinstimmt mit sich selbst, 
Es gibt kein Unrecht als den Widerspruch“ 
sagt die Gräfin Terzky zu Wallenstein, dem Herzog von Friedland. Der 
Widerspruch ist aber nicht nur ein Unrecht, sondern auch die Quelle der 
Unsicherheit, Zerfahrenheit, kurz der Schwäche, d. h. der politischen Tod- 
sünde wider den Heiligen Geist. 
Ich nabm den Weg durch den Tiergarten und freute mich, wie gut ge- 
halten er war. Ich freute mich an den schönen alten Bäumen, unter denen 
sich wahre Riesen befinden, an den wohlgepflegten Blumenbeeten, an dem 
hübschen See, der sich um die Rousseau-Insel schlängelt, über die ritter- 
lichen, schneidigen Offiziere, die auf schönen Pferden die Reitwege herunter- 
galoppierten. Ich freute mich auch über die Spaziergänger, denen ich 
begegnete, die alleso gesund, wohlgenährt und kräftig ausschauten. Deutsch- 
land war doch ein kerngesundes Land mit seinen Buchen, Eichen und Lin- 
den, wie Heinrich Heine es gerühmt hatte. Zu Hause angekommen, fand 
ich meine Frau in dem kleinen Gartensalon zu ebener Erde. Hier hatte der 
musikfreundliche Fürst Anton Radziwill, der seinerzeit zu Gocthes Freude 
die Musik zum „Faust“ komponierte, dem Klavierspiel und Gesang seiner
	        
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