IM WAGEN MIT VALENTINI 509
Bahn begleiten zu dürfen, und ich nahm ihn in meinem Wagen mit. Sein
letztes Wort an mich war: „Also lieber nicht! Es sei denn daß...‘ Am
Babnhof stand der Kabinettsrat Valentini. Erkam vom Kaiser, zu dem er
unmittelbar nach der Abstimmung im Reichstag gefahren war, um dessen
Befehle entgegenzunchmen. Wie viele verabschiedete Minister hatte sein
Vorgänger Lucanus während seiner fast zwanzigjährigen Tätigkeit in die
Unterwelt geleitet! Valentini war offenbar stolz darauf, daß er seine Tätig-
keit als Führer zum Hades mit einem Reichskanzler beginnen sollte, wollte
aber seines Amtes mit Milde walten. Er versicherte mich, als wir zusammen
allein in einem Abteil Platz genommen hatten, daß er meinen Rücktritt
lebhaft bedaure, namentlich im Hinblick auf die auswärtige Politik. In
dieser Beziehung habe er große Sorgen. Er kam dann auf die „Daily-
Telegraph“-Affäre zu sprechen. Sie sei nicht die Ursache der Allerhöchsten
Unzufriedenheit mit mir. Der Kaiser wisse wohl, daß ich Allerhöchstihn
nicht nur mit „großartiger Geschicklichkeit“ und mit „bewunderungs-
würdiger Ruhe und Energie‘ über den Sturm und die Krise weggebracht,
sondern auch als wirklich „treuer Diener‘ gehandelt hätte. Aber meine
innere Politik seit dem Wahlsieg von 1907 hätte dem Kaiser wachsendes
Mißtrauen eingeflößt, ihn tief beunruhigt. Der Kaiser habe befürchtet, daß
ich das „stramm monarchische““, das heißt persönliche, Regiment beseitigen
und ein parlamentarisches Regime wie in England, Belgien, Italien ein-
führen wolle.
Ich folge bei der Wiedergabe meiner Unterredung mit Valentini einer
Aufzeichnung, die ich am 27. Juni 1909 zu meinen Privatakten nahm. Ich
erwiderte Herrn von Valentini auf seine Andeutung hinsichtlich der Be-
sorgnisse Seiner Majestät vor meinen parlamentarischen Neigungen: „Ein
parlamentarisches Regime wie in England bei uns einführen zu wollen, ist
mir nie eingefallen, denn ich weiß sehr wohl, daß die Voraussetzungen
hierfür bei uns fehlen. Ich wollte ebensowenig eine Regierungsweise wie in
Italien, Belgien, Rumänien usw., denn ich weiß, daß darunter nicht nur
unsere Verwaltung leiden würde, sondern auch die Armee, das ganze Staats-
gefüge in Preußen, vielleicht selbst die Reichseinheit. Aber allerdings halte
ich eine stärkere Heranziehung von Parlamentariern für nützlich und
wünschenswert, um auf diese Weise eine allmähliche und besonnene Par-
lamentarisierung unserer Verhältnisse zu erreichen. Warum sollte nicht
zum Beispiel in Preußen Spahn Justizminister werden? Schwerin-Löwitz
Landwirtschaftsminister? Fischbeck Handelsminister? Der national-
liberale Miquel ist ja auch Finanzminister geworden, und zwar ein sehr
guter! Warum sollen wir nicht im Reich Bassermann zum Staatssekretär
des Reichsjustizamts machen ? Heinrich Carolath oder Hertling zum Unter-
staatssekretär im Auswärtigen Amt? Gamp zum Minister der öffentlichen