Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Erneutes Ab- 
schiedsgesuch 
520 DIE ANGEBLICHE SCHULD DER LINKEN 
Abgeordneten Heydebrand, indem er in derselben Sitzung vom 10. Juli 
mir zwar meine Illusionen hinsichtlich der Liberalen vorwarf, aber doch 
erklärte: „Auch wir bedauern das Scheiden des Kanzlers! Wer weiß, ob 
wir je einen solchen Mann wiederbekommen! Wir waren aber an seinem 
Sturz nicht schuld, den hat die Linke verursacht.“ 
Am 13. Juli 1909 wurden die Verhandlungen des Reichstags geschlossen, 
am Tage darauf erneuerte ich mein Abschiedsgesuch. An demselben Tage 
sprach ich mich gegenüber dem Chefredakteur des „Hamburgischen Corre- 
spondenten“, Felix von Eckardt, über meine Auffassung der politischen 
Lage aus”. Ich verfolgte mit dieser Unterredung einen doppelten Zweck. 
Einmal wollte ich der schon sehr verbreiteten und nicht ganz grundlosen 
Meinung entgegentreten, als ob der eigentliche Grund meines Rücktritts in 
dem Verhalten des Kaisers mir gegenüber zu suchen wäre. Aus Rücksicht 
auf die Krone, um den Kaiser nicht bloßzustellen, bezeichnete ich die Hal- 
tung der Konservativen mir gegenüber als den einzigen Grund meines 
Rücktritts. „Daß die Erweiterung der Erbschaftssteuer gefallen ist“, 
erklärte ich Herrn von Eckardt, „bedauert niemand tiefer als ich. Die Folgen 
der Ablehnung dieser vernünftigen und gerechten Steuer werden sich in 
ernster Weise bemerkbar machen. Daß das Zentrum die Erbschaftssteuer zu 
Fall gebracht hat, das hat mich nicht gewundert. Das Zentrum hat sich über 
die unbestreitbaren Vorzüge dieser Steuer, über die Tatsache, daß viele seiner 
namhaftesten Vertreter ebenso wie leitende Zentrumsblätter seit Jahren 
für diese Steuer eingetreten sind, über die Tatsache, daß sie sozialpolitisch 
und steuertechnisch dem Zentrumsprogramm entspricht, über alles das hat 
sich das Zentrum in dem Augenblick mit der ihm eigenen taktischen Elasti- 
zität hinweggesetzt, wo es hoffen konnte, die Konservativen zu sich hin- 
überzuziehen und mir damit ein Bein zu stellen. Ich nehme das dem Zen- 
trum gar nicht übel. Ich nehme das dem Zentrum so wenig übel, wie ich die 
gleiche Haltung den Polen übelnehme, die auch, obwohl an und für sich 
Freunde der Erbschaftssteuer, aus Haß gegen mich gegen die Erweiterung 
der Erbschaftssteuer gestimmt haben. A la guerre, comme ä la guerre. Von 
der Seite hatte ich es nicht anders erwartet. Die Haltung der Konservativen 
ist mir weniger verständlich gewesen, und es wird nicht gelingen, sie dem 
Lande verständlich zu machen. Der Eindruck wird unverwischbar haften, 
daß die Konservativen dem zur ausschlaggebenden Stellung zurückver- 
langenden Zentrum Handlangerdienste geleistet haben. Wenn die Konser- 
vativen jetzt erklären lassen, sie hätten die grundsätzliche Ausschaltung 
des Zentrums für einen politischen Fehler gehalten, so kann damit nur die 
Blockpolitik gemeint sein. Denn den politischen Fehler der grundsätzlichen 
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III, 369; Kleine Ausgabe V, 210.
	        
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