Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

BLUFF 45 
Augenblick seines Lebens treu geblieben ist, daß ein Krieg zwischen Ruß- 
land und Deutschland vielleicht zum Sturz der Hohenzollern, sicherlich 
zum Sturz der Romanows führen und nur der Revolution zugute kommen 
würde. 
Die Handelsvertragsverhandlungen fanden gewöhnlich am Vormittag, 
bisweilen auch am Vor- und Nachmittag statt. Witte begegnete sich mit 
mir in dem Wunsch, nicht über Detailfragen und Kleinigkeiten zu stolpern, 
sondern das ganze Problem von einem höheren Gesichtspunkt aus zu behan- 
deln. Es war nicht zu leugnen, daß er meinen verehrten deutschen Mit- 
arbeitern an Großzügigkeit überlegen war. Wenn diese sich mit dem Stabe 
von Witte einige Zeit herumgezankt hatten, pflegte letzterer mir einen 
kleinen Zettel herüberzureichen, auf dem etwa stand: „Mettons fin ä ces 
commerages inutiles! Je vous propose la solution suivante... .‘“ Seine Vor- 
schläge waren immer praktisch, meist annehmbar. Als ihm einer der deut- 
schen Delegierten einmal entgegenbielt, daß, wenn er in diesem oder jenem 
Punkt nicht nachgebe, es uns vielleicht nicht unmöglich sein würde, in 
einiger Zeit einen Reichstagsbeschluß herbeizuführen, durch den die Regie- 
rung aufgefordert werden könnte, gerade in diesem Punkt den Russen nicht 
nachzugeben, entgegnete Witte lächelnd: „Und ich kann mit einem kurzen 
Telegramm einen kaiserlichen Ukas erwirken, durch den alle unsere For- 
derungen um 400 Prozent erhöht werden. Laissons ces enfantillages.‘“ 
Natürlich war ich weit davon entfernt, mich von ihm bluffen zu lassen, 
schon weil ich wußte, daß dies seit langem ein beliebter Kunstgriff gerade 
der Russen war. Eines Nachmittags, nach einer ziemlich heftigen Dis- 
kussion, die zu keiner Verständigung geführt hatte, schickte Witte mir 
einen seiner Sekretäre, um sich zu erkundigen, um welche Zeit der Schnell- 
zug nach Berlin von Norddeich, der Endstation der Bahn gegenüber der 
Insel Norderney, am nächsten Tage abginge. Ich erwiderte ihm nach einer 
Stunde, ich hätte Weisung gegeben, daß er für die Reise von Norddeich 
nach Berlin einen Salonwagen bekäme, schon im Hinblick auf die lange 
Fahrt, die ihm noch von Berlin bis St. Petersburg bevorstünde. Er kam 
nicht wieder auf den Gedanken der Abreise zurück. 
® Unvergeßlich ist mir eine kleine Szene aus einer der letzten Sitzungen. 
Witte, der den Abend vorher in meiner Villa in angeregtem Gespräch bis 
spät in die Nacht zugebracht hatte, holte einen Zettel hervor und hielt 
dabei eine kleine Ansprache, in der er etwa sagte: In Anerkennung des auch 
von deutscher Seite gezeigten guten Willens und um seiner persönlichen 
Sympathie für den deutschen Kanzler Ausdruck zu geben, wolle er uns 
freiwillig noch einige nicht ganz unbeträchtliche Konzessionen machen. 
Er hatte kaum diese Zugeständnisse verlesen, als der Unterstaatssekretär 
Wermuth, der neben mir saß, obwohl ich ihn durch sanften Druck meines 
  
Die 
Handels- 
vertrags- 
verhandlungen
	        
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