Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

46 DER UNTERSTAATSSEKRETÄR WERMUTH 
Fußes auf seinen Stiefel warnte und zurückzuhalten suchte, in einem sehr 
mangelbaften Französisch erklärte: Wo die Russen in der Gebelaune zu 
sein schienen, müßten die Deutschen noch vier oder fünf andere Wünsche 
zur Sprache bringen, die den russischen Zugeständnissen erst ihren vollen 
Wert verleihen würden. Witte erwiderte kühl: „J’ai voulu vous faire plaisir, 
mais comme vous semblez mal comprendre mes mobiles et mes intentions, 
je retire ce que j’ai dit.“ Der Unterstaatssekretär Wermuth war ein arbeits- 
freudiger und kenntnisreicher, aber nicht gerade feinfühliger Beamter. Er 
war der Sohn eines ebemaligen Polizeipräsidenten des Königs Georg von 
Hannover, eines Beamten, der sich durch sein reaktionärese Verbalten in den 
letzten Jahren vor der Katastrophe von 1866 sehr verhaßt gemacht hatte, 
aber vielleicht gerade deshalb von dem blinden König geschätzt wurde. 
Damals sangen die Straßenjungen von Hannover: 
Du hast den groben Tschirnitz, 
Hast Liebig, den süßen Friseur, 
Du hast den bitteren Wermuth, 
Mein Georgie, was willst du noch mehr? 
Tschirnitz war ein ob seines rauhen Wesens gefürchteter General- 
adjutant, Liebig der besondere Günstling des letzten Königs von Hannover. 
Der Sohn Wermuth war, als er mir bei den Handelsvertragsverhandl 
zur Seite stand, ausgesprochen agrarisch und ängstlich bemüht, nicht bei 
den Konservativen anzustoßen, vor denen ihm sehr bange war. Ich hätte 
damals nicht geglaubt, daß er sich in späteren Jahren als Oberbürgermeister 
von Berlin auf das beste nicht nur mit den Mehrheitssozialisten, sondern 
auch mit den Unabhänzigen und Kommunisten im Roten Hause in der 
Königstraße verstehen würde. 
Eine wackere Stütze war mir der Direktor der handelspolitischen Ab- 
teilung im Auswärtigen Amt, der Geheime Rat Körner. Sein Vater hatte 
in der alten Zeit im sächsischen Finanzministerium die Zollfragen be- 
arbeitet, und man sagte von dem Sohn, daß er unter Tabellen und Zoll- 
verordnungen aufgewachsen wäre wie andere Kinder zwischen Schaukel- 
pferden und Baukästen. Seine Tüchtigkeit und sein Wissen imponierten 
Witte, dem auch sein Auftreten und sein Wesen gefielen. Bei der Dis- 
kussion einer nicht unwichtigen Zollposition, die für die Chemnitzer 
Industrie von Bedeutung war, sagte Witte: „Je vous c&de cette position 
pour faire plaisir a Mr. Körner qui est Saxon.“ Als einundzwanzig Jahre 
später die deutsche Republik Zollverhandlungen mit Sowjet-Rußland einzu- 
leiten wünschte, konnte sie nichts Klügeres tun, als an die Autorität dieses 
hervorragenden Beamten des alten Systems zu appellieren und ihn zu bitten, 
die Verhandlungen mit dem neuen Rußland zu führen.
	        
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