Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE BOMBE FÜR PLEHWE 47 
Kaiser Wilhelm, dem ich melden konnte, daß die Verhandlungen mit 
Witte zum Abschluß gekommen seien, richtete an mich das nachstehende 
Telegramm: „Ihre Meldung hat Mich mit hoher Befriedigung und herz- 
licher Freude erfüllt. Nach jahrelanger mühevoller, dorniger Arbeit ist 
Ihnen das große Werk gelungen, dank Ihrer nie erlahmenden Arbeitskraft 
und aufopfernden Hingabe. Möge unser Volk und Vaterland sich zu voller 
Würdigung dessen, was Sie ihm errungen haben, durch die Unterzeichnung 
des Handelsvertrages emporarbeiten und Ihnen ebenso warmen und rück- 
haltlosen Dank zollen, wie Ich es jetzt schon tue. Genießen Sie nun Ihre 
Ferien in verdienter Ruhe.“ 
Für einige Tage nach Berlin zurückgekehrt, wo ich Geschäfte zu erledigen 
hatte, begegnete ich bei einem Morgenritt im Tiergarten meinem Freund 
Witte, der mir schon von weitem in freudiger Erregung zurief: „Une bonne 
nouvelle! Plelhwe vient d’etre assassin&!“ Der russische Minister des Innern, 
Herr von Plehwe, ein Gegner Wittes, war am 28. Juli auf einer Fahrt nach 
dem Warschauer Bahnhof von einem Anarchisten mittels einer Spreng- 
bombe getötet worden. Plehwe war einer jener Deutschrussen, die, vielleicht 
weniger grausam als die Nationalrussen, sich doch durch ihre methodische 
Härte und Strenge noch verhaßter als diese machten. Er war ein Typus, 
wie man ihn seit Peter dem Großen in Rußland häufig gesehen hatte. 
Sohn eines verarmten ostpreußischen Gutsbesitzers, war er als Kind mit 
seinem Vater nach Russisch-Polen gekommen, wo dieser, der in seiner Hei- 
mat auf keinen grünen Zweig kommen konnte, sich ein kleines Gut gekauft 
hatte. Der junge Plehwe wurde dort zum Polen erzogen. Später siedelte der 
Vater nach dem inneren Rußland über, wo der Sohn sich ebenso rasch aus 
einem Polen in einen Russen verwandelte wie früher aus einem Deutschen 
in einen Polen. Der ehrliche Wilhelm Plehwe war bald ein polnischer 
Vaclav geworden. Mit der gleichen Fixigkeit und Unbefangenheit ent- 
wickelte er sich etwas später aus einem Vaclav zu einem russischen 
Wjatscheslaw. Plehwe hatte eine ungewöhnliche Arbeitskraft, eine eiserne 
Faust, einen unbeugsamen Willen und hohen persönlichen Mut. Beständig 
von Bomben und Kugeln bedroht, fuhr er in einem gepanzerten Wagen 
und bestimmte erst im letzten Augenblick beim Einsteigen das Ziel der 
Fahrt. Trotzdem galt er für einen gezeichneten Baum. Jedermann war 
überzeugt, daß er früher oder später in die Luft gesprengt werden würde. 
Er hatte der Frau eines französischen Militärattach&s eine große Leiden- 
schaft eingeflößt. In hysterischer, beinahe pathologischer Weise behauptete 
sie, daß mit dem von ihr heiß geliebten Mann gemeinsam in Todesgefahr 
zu schweben für sie der höchste Genuß wäre. An dem Tage, wo Plehwe die 
Sprengbombe traf, war sie zufälligerweise nicht mit ihm im Wagen. 
Vierzehn Tage nach der Ermordung von Plehwe wurde Kaiser Nikolaus II. 
Plehwes 
Ermordung
	        
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