Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

64 „DIE NACHWELT SOLL SEHEN* 
Ich: Eure Majestät haben nur die Pflicht, Ihre eigene Ehre und das 
Interesse des preußischen und des deutschen Volkes zu wahren. Für andere 
Herrscher und für andere Völker ist der Deutsche Kaiser nicht verantwort- 
lich. Kaiser Wilhelm I. und Friedrich der Große haben sich nicht für andere 
den Kopf zerbrochen. Wie Ludwig XV. und Peter III. regierten, war dem 
großen König höchst gleichgültig, wenn er nur seine eigenen Vorteile wahr- 
nahm. 
Der Kaiser: Jetzt sind andere Zeiten. Damals gab es keine Sozialisten 
und keine Nihilisten, die aus der Blamage der Fürsten Vorteile ziehen. 
Durch sein jämmerliches Verhalten schädigt der Zar das monarchische 
Prinzip. Er muß nach Moskau fahren, das heilige Rußland zum Kampf auf- 
zurufen, ihm das Kreuz vorantragen, seine ganze Armee mobilisieren. 
Ich: Ob der Zar das tun will, überlassen Eure Majestät doch ihm selbst. 
Noch weniger als andere Menschen lieben Fürsten, belehrt zu werden. 
Sie selbst lassen sich ja auch nur recht ungern belehren. (Seine Majestät 
lächelte.) Zuviel Belehrung würde jedenfalls den Kaiser Nikolaus nicht in 
die gewünschte Richtung bringen, sondern verstimmen und mißtrauisch 
machen. 
Der Kaiser: Ihre Argumente mögen vom politischen Standpunkt aus 
zutreffend sein. Sie übersehen aber eine ungeheure Gefahr, die ich als 
Souverän besser würdigen kann als.alle Diplomaten, die gewohnheits- 
mäßig nur mit der Gegenwart rechnen, nämlich die gelbe Gefahr. Sie ist die 
größte Gefahr, welche die weiße Rasse, Christentum und unsere gesamte 
Kultur bedroht. Wenn die Russen vor den Japanern kneifen, wird die 
gelbe Rasse in zwanzig Jahren in Moskau und Posen stehen. 
Ich: Eure Majestät wissen seit langem, daß ich an eine solche gelbe 
Gefahr nicht glaube. Sie berührt jedenfalls alle anderen Weltmächte, 
Rußland und England, Amerika und Frankreich näher als uns. Sie über- 
schätzen die gelbe Gefahr. Eure Majestät sind zu sehr geneigt, die politi- 
schen Vorgänge durch ein Vergrößerungsglas zu betrachten. Wie Sie im 
fernen Osten die gelbe Gefahr überschätzen, so im nahen Osten die grüne 
Fahne des Propheten, d. h. Macht und Bedeutung des Islam, des Sultans 
und der Türken. 
Der Kaiser: Ich bleibe bei meiner Ansicht. Bringen Sie jedenfalls alles, 
was ich Ihnen soeben auseinandergesetzt habe, zu Papier und deponieren 
Sie diese Niederschrift im Archiv, damit die Nachwelt sieht, wie richtig ich 
die Situation beurteilt habe. Es ist eine wahre Schande, daß Frankreich 
seine russischen Verbündeten im Stich läßt und England und die Ver- 
einigten Staaten mit Japan sympathisieren. Wir müssen den Zaren auf die 
Größe der gelben Gefahr aufmerksam machen, die der Arme noch gar nicht 
begreift.
	        
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