Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Geheimbericht 
von Schöns 
66 NICHT DER TERTIUS GAUDENS 
hielten. In Wahrheit waren cs harmlose englische Fischerkutter, deren 
mehrere in den Grund gebohrt wurden. Die englische Presse erhob großen 
Lärm, sie beschimpfte in allen Tonarten den russischen Admiral Roschdest- 
wensky, forderte eine eklatante Genugtuung und erklärte, daß ein Krieg 
schwer zu vermeiden sein würde. Gleichzeitig aber war die englische Re- 
gierung im stillen bestrebt, es nicht zum Krieg mit Rußland kommen zu 
lassen. Noch eifriger bemühten sich in dieser Richtung die beiden dänischen 
Schwestern, die Zarin-Mutter Maria Feodorowna und die Königin Alexandra 
von England, die, wie man sich erinnert, schon 1885 während der afghani- 
schen Krise viel zu einer Verständigung zwischen Walfisch und Bär bei- 
getragen hatten. Unser Botschafter Graf Metternich schrieb mir bereits 
am 6. November 1904: „Den Nordseezwischenfall schätze ich, soweit Eng- 
land in Betracht kommt, gering ein. Nach kurzem werden englischerseits 
dieselben Anstrengungen wie vorher gemacht werden, um zu einer Verstän- 
digung mit Rußland zu gelangen. Frankreich wird dieses Ziel, solange es 
erreichbar ist, nie aus dem Auge verlieren und stets besänftigend und im 
Sinne der Annäherung nach beiden Seiten hin wirken. Irgendeine deutsch- 
englische Kombination halte ich nicht within the reach of practical politics. 
Im Gegenteil, die Abneigung gegen uns ist hier im Wachsen, obwohl wir 
ihr seit längerer Zeit gar keine Nahrung gegeben haben.“ Ich hatte nach 
Möglichkeit darauf hingewirkt, daß unsere Presse gegenüber der Dogger- 
bank-Affäre nicht nach übler deutscher Gewohnheit den Tertius gaudens 
spielte, sondern sich einer taktvollen Zurückhaltung befleißigte. Die Lehre, 
die aus diesem Zwischenfall gezogen werden mußte, war, daß alle Streitig- 
keiten zwischen den Deutschland umgebenden Mächten Rußland, England 
und Frankreich verhältnismäßig leicht beizulegen waren, da sie sich, wenn 
auch aus sehr verschiedenen Gründen, untereinander kein Auge auszu- 
hacken wünschten. Um so vorsichtiger mußten wir in unserer zentralen 
Lage, bei dem Neid, den unsere glänzende wirtschaftliche Entwicklung, 
und bei den Besorgnissen, die unsere gewaltige Machtstellung in der Welt 
hervorriefen, der Gefahr ausbiegen, den anderen Mächten eine opportune 
Gelegenheit für einen kriegerischen Gang mit uns zu bieten. 
Der Niederschlag aller kaiserlichen Stimmungen und Verstimmungen 
war ein geheimer Bericht, den am 2. Dezember 1904 der als Vertreter des 
Auswärtigen Amtes den Kaiser auf Reisen begleitende damalige Gesandte 
von Schön, der spätere Botschafter in St. Petersburg und Paris und Staats- 
sekretär des Äußern, an mich richtete. Herr von Schön meldete mir: 
„Seine Majestät der Kaiser und König hatten im Laufe der Reise nach 
Schlesien aus Allerhöchsteigener Initiative die Gnade, mich, nach der Vor- 
bemerkung, daß es sich um eine ganz geheime Sache handle, in längerer 
Ausführung über die Entschließungen zu unterrichten, zu denen Aller-
	        
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