Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

WILHELMS II. „ERSTER“ MISSERFOLG 69 
Trotz aller Beschwichtigungsversuche der vortrefllichen Kaiserin wurde 
die Stimmung Seiner Majestät immer düsterer und namentlich immer 
erregter. Der Kaiser hatte während der beiden letzten Monate dem Zaren 
aus den schlesischen Jagdgründen mit Briefen zugesetzt, in denen er im 
Widerspruch zu allem, was ich ihm empfohlen batte, gegen meinen aus- 
drücklichen Rat ihn von Frankreich abzuziehen suchte. Diese Briefe hatten 
natürlich das gerade Gegenteil des von Seiner Majestät erwarteten Erfulges 
erzielt. Am 28. Dezember 1904, drei Tage vor Jahresschluß, schrieb mir 
der Kaiser, der Zar habe ihm „eine klare Absage an jeden Gedanken einer 
Verabredung ohne Vorwissen Galliens“ erteilt, „ein gänzlich negatives 
Resultat nach zweimenatiger ehrlicher Arbeit“. Das sei „der erste Miß- 
erfolg‘‘, den er seit seinem Regierungsantritt „persönlich“ erlebe. Hofent- 
lich eröffne er nicht eine Reihe ähnlicher Vorgänge. Jetzt müßten wir Japan 
kultivieren und Paris „eins auswischen“. Delcasse, der „verflucht geschickt 
und sehr stark“ sei, habe die Verhandlungen Seiner Majestät vereitelt. In 
einer langen Unterredung, die ich am Silvestertag 1904 mit dem Kaiser 
hatte, gab er mündlich seiner Entmutigung noch drastischeren Ausdruck. 
Die Depression, die ihn befallen zu haben schien, war selbst für sein leicht 
von einem Gegensatz zum anderen überspringendes Naturell ungewöhnlich. 
„Ich verstehe“, erwiderte ich, „Eurer Majestät Befürchtungen, ich verstehe 
sehr wohl Ihre Sorgen, die ich seit langem selbst empfinde. Darum dürfen wir 
aber nicht den Mut verlieren. Ich erinnere Eure Majestät an Goethes Wort: 
Nur heute, heute nur laß dich nicht fangen, 
So bist du hundertmal entgangen. 
Auf die Politik und auf uns übertragen heißt das: nicht bei jeder Gefahr, 
bei jedem Hindernis die Nerven verlieren, sondern die Hindernisse mit Mut, 
Geduld und Zähigkeit überwinden, Gefahren klug ausweichen. Ich erinnere 
Sie an die Worte, die ich in Gegenwart Eurer Majestät beim Stapellauf des 
Linienschiffs ‚Preußen‘ in der Hauptstadt Pommerns gesprochen habe. 
Der Staat, sagte ich damals, dessen Namen dieses Linienschiff tragen soll, 
war von Aufang an bedroht, gefürchtet und gehaßt von seinen Gegnern, 
aber geliebt und hochgebalten von seinen Söhnen mit Anspannung aller 
Kräfte wie kaum ein anderer. Oft von Stürmen umbraust, hat er mit 
Gottes Hilfe alle Stürme siegreich überstanden. Sie haben uns oft bedrängt, 
von unserer Jugend auf, aber uns nicht übermocht. Heute am letzten Tage 
des bewegten Jahres 1904 sage ich dem König von Preußen und Deutschen 
Kaiser: Unsere Neider und Feinde werden uns auch weiter nicht übermögen, 
wenn wir uns selbst, wenn wir dem Geist der preußischen Geschichte treu 
bleiben. Mit festem Mut, mit kaltem Blut und mit elastischer Hand kommen 
wir in Ehren durch.“ 
Absage des 
Zaren
	        
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