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„Die Socke“. Ich frug bei ihm an, ob ich ihn besuchen dürfe. Er ließ mir
antworten, daß er mir nach wie vor gut gesinnt wäre, mich aber bäte, von
einem Besuche abzusehen. Ich erfuhr weiter, daß Bernhard Honig seit
vielen Jahren den ganzen, in der Alma citta di Roma bekanntlich überaus
heißen Sommer in der Via Sistina verlebe, die Winter in Deutschland.
Während der Wintersaison mißfiel ihm Rom, denn die vielen Fremden
störten ihn. Im Sommer füllte er sich als Herr der amoena Pincii spatia,
wie es auf dem Obelisk am Pincio heißt, er pflegte die Blumen auf der
Terrasse seines Hauses, erfreute sich am Gesang der Vögel, die er dort in
vergoldeten Käfigen unterhielt, und unternahm ab und zu in den kühleren
Nachtstunden eine Fahrt in die Campagna. Diese Lebensweise sagte ihm
so sehr zu, daß er jeden Besuch als eine Störung empfand. Ich bin nicht
abgeneigt, anzunehmen, daß Bernhard Honig zu den wenigen wirklich zu-
friedenen Menschen gehörte, die mir begegnet sind.
Die Villa Malta hat nicht nur erlesenen Geistern wie Humboldt und
Bonstetten ein Asyl geboten, sondern auch Abenteurer beherbergt.
Cagliostro, der Schatzgräber, Zauberkünstler, Arzt, Rosenkreuzer und Frei-
maurer, Alchimist und Mystiker, der in Rom zum Tode verurteilt wurde,
in Paris in der Bastille gesessen hatte, der in die Halsbandgeschichte ver-
wickelt war und von der Kaiserin Katharina aus Petersburg ausgewiesen
wurde, der in Warschau den Polen erklärte, er habe eine Lebenstinktur
erfunden, die die Menschen verjünge, der Großkophta der angeblich von
ihm wieder hergestellten ägyptischen Freimaurerei, einer der größten
Schwindler des an Schwindlern so reichen achtzehnten Jahrhunderts, der
aber doch die Ehre gehabt hat, die Aufmerksamkeit und das Interesse von
Goethe zu erregen, Cagliostro hat in der Villa Malta eine interessante
Seance veranstaltet, die in seinem Essay über diesen Hochstapler der Fran-
zose Marc Haven wie folgt geschildert hat: „Cagliostro hielt im Mai 1789
in der Villa Malta, damals der Sommerresidenz der Botschafter des Mal-
teser-Ordens, wiederholt Sitzungen ab. Bei einer dieser Sitzungen, der
außer dem damaligen Malteser-Botschafter, Bailli Le Tonnelier de Breteuil,
der französische Botschafter, Kardinal Bernis, die Fürstin Santa Croce, die
Fürstin Rezzonico und andere Mitglieder der römischen Gesellschaft bei-
wohnten, ließ Cagliostro ein Kind aus einer Kristallkaraffe voll Wasser die
Zukunft prophezeien. Das Kind erklärte, in dem Wasser eine Straße zu
sehen, voll von Menschen, die „‚A bas le Roi!“ und „A Versailles!“ schrien.
Cagliostro rief hierauf: „Das Kind sagt die Wahrheit. Binnen kurzem wird
Ludwig XVI. in seinem Palast in Versailles überfallen werden, die Mon-
archie wird stürzen, die Bastille geschleift werden, auf die Tyrannei wird
die Freiheit folgen.“ „Oh“, rief der Kardinal Graf Bernis, „welche traurige
Prophezeiung betreffs meines Königs!“ „Ich bedauere es“, erwiderte