DER SCHATTEN 83
Möge es uns noch lange vergönnt sein, bei der reichen Erfahrung Eurer
Durchlaucht Rat und Hilfe zu finden zum Besten des Vaterlandes. Meine
Gedanken gehen oft zu Eurer Durchlaucht; schließlich sind die Berliner
Jahre nicht ohne tiefen Eindruck an mir vorübergegangen, und ich bin
mir vollkommen bewußt, wie unendlich viel meine politische Ausbildung
dem Umstande verdankt, daß es mir vergönnt war, in solcher Nähe Eurer
Durchlaucht zu leben. Meine ganze Auffassung der Dinge ist dadurch
modifiziert worden, und wenn ich überhaupt in der Lage war, meinem
neuen Chef einige Dienste in den Anfängen seiner Amtsführung zu leisten,
so weiß ich, daß ich es dieser Schule verdanke. Aber darüber hinaus habe
ich Eurer Durchlaucht im Herzen nahegestanden, näher vielleicht, als Sie
es ahnten. Auf dieses Verhältnis war zum Schluß ein Schatten gefallen;
wir wissen das beide; und ich habe sehr darunter gelitten. Aber das ist
innerlich ganz überwunden, und es bleibt nur eine dankbare Erinnerung.
Daß mein Weg mich gerade hierher nach Brüssel führen mußte, ist eine
eigene Verkettung der Umstände, deren Ungunst heute noch unüber-
wunden auf mir lastet. Diese Sache ist, in Folge einer unerwarteten
Stellungnahme höheren Ortes, uns ganz aus der Hand gegangen. Meine
Wünsche gingen bekanntlich nach einer ganz anderen Richtung, für die
man bereits an höchster Stelle den Weg gebahnt hatte. Aber wer will die
Glieder der Kette lösen und ändern, die von den Uranfängen bis herauf zu
unseren Schicksalen führt! Wir wollen, wie wir wollen müssen. Ich möchte
nur noch meiner Freude Ausdruck geben, Eure Durchlaucht körperlich
so wohl und frisch gefunden zu haben, und mit meinen ehrerbietigsten
Empfehlungen an die Frau Fürstin schließen als Eurer Durchlaucht stets
ganz gehorsamster Flotow.‘“ Mit dem Schatten, der zum Schluß auf sein
Verhältnis zu mir gefallen wäre, meinte Flotow natürlich die von ihm
eingefädelte Intrige, der Graf Wallwitz zum Opfer fiel. Die Behauptung, er
sei halb gegen seinen Wunsch und Willen nach Brüssel versetzt worden,
war eine pia oder vielmehr eine impia et impudens fraus.
Einige Wochen nach seiner Ernennung zum Gesandten in Brüssel
meldete uns Flotow seine Verlobung mit der verwitweten Gräfin Marie
Keller, geborene Schahowskoy. Sie war eine Russin, Witwe des russischen
Generals Theodor Keller. Ich habe, als ich anläßlich der Palästinareise
unserer Majestäten die preußische Hofstaatsdame Gräfin Mathilde Keller
erwähnte, auch von dem russischen Zweig dieser deutschen Adelsfamilie
und von dem im Russisch- Japanischen Kriege als Held gefallenen russischen
General Graf Theodor Keller gesprochen. Der ritt während einer Schlacht
zu einer Batterie, deren Offiziere Deckung in einer Weise gesucht hatten,
die sie für ihre Leute unsichtbar machte. Darüber von Keller zur Rede
gestellt, entschuldigten sie sich damit, daß sie nicht Lust gehabt hätten,
es