86 1912, 1916, 1917
neunundsechzig Wahlkreisen, welche die Sozialdemokratie 1912 eroberte,
“waren 1907 in den Besitz der bürgerlichen Parteien zurückgekehrt, neun-
undzwanzig waren damals an die Konservativen, siebenunddreißig an die
Liberalen gefallen. Die Parteien der Rechten sanken von hundertdreizehn
Mandaten, die sie 1907 erobert hatten, in den Wahlen von 1912 auf neun-
undsechzig Mandate. Das war der tiefste Bestand der Rechten seit dem
Jahr 1874. Dem Liberalismus brachten die Wahlen von 1912 die bisher
schwächste Vertretung im Reichstag überhaupt. Für die Wahlen von 1907
hatte ich zum erstenmal Konservative und Liberale aller Schattierungen
unter einen HHut gebracht.
Die Bethmannschen Wahlen von 1912 sahen zum erstenmal in Deutsch-
Beihmanns land eine enge Koalition aller linksstehenden Elemente. 1907 war die
Niederlage Rechte mit hundertdreizehn Mandaten gegenüber hundertsechs Liberalen,
hundertfünf Zentrumsvertretern und nur dreiundvierzig Sozialisten als die
stärkste Gruppe aus den Wahlen hervorgegangen. Im Jahre 1912 wurde
die Sozialdemokratie mit hundertzehn Mandaten die stärkste Partei im
Reichstag, neben neunzig Zentrumsvertretern, fünfundachtzig Liberalen
und nur neunundsechzig Konservativen aller Nuancierungen. Die Wahlen
von 1907 hatten für die Sozialdemokratie die empfindlichste und schwerste
Niederlage bedeutet, die sie je erlitt; die Wahlen von 1912 brachten ihr den
größten Erfolg seit dem Bestehen von Reichstag und Reich. Die ungeheure
Bedeutung dieser Wahlniederlage der Bethmannschen Regierung und der
IHeydebrand-Westarpschen Führung sollte freilich erst im Weltkrieg aller
Welt klar werden.
Auf die Tatsache, daß 1912 die Sozialdemokratie mit hundertzehn
Abgeordneten die stärkste Partei des Reichstags geworden war, ist
nicht nur die klägliche Zügelführung im Innern während des ganzen Welt-
krieges zurückzuführen, die in so beschämendem Gegensatz stand zu der
straffen und unbeugsamen Energie, mit der Clemenceau, Lloyd George,
die italienischen Minister ihre Völker gerade im Kriege führten, sondern
auch die politisch falsche und verhängnisvolle Richtung, die Bethmann
Hollweg und Jagow unserer ganzen Kriegspolitik von vornherein gegen
das zaristische Rußland gaben in der schwächlichen, blinden Hoffnung,
dadurch die Sozialdemokratie in guter Laune und bei der Stange zu halten.
Auch das unsere Gegner nur ermutigende, einfältige Friedensangebot vom
Dezember 1916 sowie die mehr als naive Friedensresolution des Reichstags
vom Juli 1917, ja im letzten Ende selbst die unsinnige Wiederherstellung
von Polen gingen aus der Furcht des Bethmannschen Regimes vor der
größten und stärksten Partei des Reichstags hervor.
Tod In der auswärtigen Politik hatte uns der am 6. Mai 1910 erfolgte Tod
Eduards VII. Eduards VII. eine erhebliche Erleichterung gebracht. Nicht als obich glaubte,