„An den
Fürsten Bülow
in Rum“
88 KIDERLEN
Kiderlen gesehen habe, war im Januar 1912 in Rom, wohin er für einige
Tage gekommen war, um sich dem König und dem Minister des Äußern,
San Giuliano, die ihn noch nicht persönlich kannten, vorzustellen. Kiderlen
machte auf beide einen tüchtigen Eindruck. Er kam jeden Abend zu uns
nach der Villa Malta. Ich fand ihn körperlich nicht gut aussehend, erschöpft
und dabei aufgedunsen. Er trank mir auch zu viel. Als ich ihn zu einem
strengeren Regime ermahnte, meinte er: er habe nur noch kurze Zeit zu
leben, da wolle er sich nichts abgehen lassen, sondern, wie dies sein engerer
Landsmann Schiller so schön ausdrücke, noch schlürfen die Neige der
köstlichen Zeit. Kiderlen starb am 30. Dezember 1912 in seiner Heimatstadt
Stuttgart an einem Herzschlag, unmittelbar nachdem er auf einem Diner
bei dem bayrischen Gesandten Graf Moy trotz des Abratens des Gast-
gebers und selbst des einschenkenden Dieners das sechste Gläschen
Kognak getrunken hatte. Unvergeßlich sind mir die letzten Worte ge-
blieben, die er bei unserem letzten Zusammensein, in Rom, an mich
richtete. Ich wünschte ihm, als er in der Villa Malta von mir Abschied
nahm, guten Erfolg in seinem Amt und sagte zu ihm: „Trinken Sie weniger
Kognak und rauchen Sie nicht zu schwere Zigarren, aber im übrigen lassen
Sie den Kopf nicht hängen. Sie werden es schon schaffen.“ Kiderlen ant-
wortete mir: „Herzlichen Dank, Durchlaucht, aber ich weiß nur zu gut, daß
wir seit Ihrem Rücktritt im Innern und nach außen eine sehr mäßige
Politik gemacht haben. Aber machen Sie mal eine gute Politik zwischen
einem — und einem Schwächling.““ Der frübe Tod von Kiderlen war
trotz allem ein Unglück für das Land. Eine so miserable Politik, wie
sie sein Nachfolger Jagow mit Bethmann inaugurierte, würde Kiderlen
nicht gemacht haben.
In vielen Briefen und Zuschriften, die ich aus der Heimat erhielt, trat
wachsende Unzufriedenheit mit der Bethmannschen Führung und damit
in Verbindung ein mich betrübender Pessimismus zutage. Schon im ersten
Winter nach meinem Rücktritt richtete am 14. Februar 1910 der Chef-
redakteur des „Berliner Tageblatts“, Theodor Wolff, der mich und meine
Politik oft bekämpft hatte, an der Spitze seines Blattes ein offenes
Schreiben „An den Fürsten Bülow in Rom“, in welchem es hieß: „Obgleich
Euer Durchlaucht heute in Rom als Rentier und Epikuräer leben, blicken
Sie gewiß dann und wann in die Heimat zurück, und vor den Ruinen auf
dem Forum erwägen Sie im Geiste Ihres Nachfolgers bisherige Tätigkeit.
‚Ach‘, sagen Sie, ‚man hat mich einen Bonvivant, einen leichten Weltmann
genannt — sie haben nun einen Kanzler, der in der Schreibstube haust
und von der Welt nichts weiß. Ich war ihnen zu oberflächlich, nicht gründ-
lich und nicht tief genug — jetzt haben sie einen, der sie gründlich hinein-
rudert und tief in die Nesseln setzt. Man hat gespottet, daß ich nur Blumen