Familientag
96 DER „REICHSKUNKTATOR“
Junisonne beschienenen Havelseen. Wir erbauten uns an dem alten,
weisen Spruch am Portal des Brandenburger Rathauses:
So einer könnt und sagen kann,
Er hab es allen recht gethan,
So bitten wir diesen lieben Herrn,
Er wöll’ uns solche Kunst auch lehr’n.
Der Spruch war mir eine Beruhigung gegenüber der parteipolitischen
Kritik, die alle Fraktionen der Reibe nach an mir geübt hatten. Jagow und
Hammann, die Loebell mir zu Ehren aus Berlin nach Brandenburg ein-
geladen hatte, ergingen sich im Zwiegespräch mit mir in mokanten
Wendungen über den neuen Fabius Kunktator, den „Reichskunktator“
Bethmann Hollweg, wohl in der Hoffnung, mir dadurch zu gefallen, was
eine irrige Annahme war. Jedenfalls hätten sie besser getan, statt
Bethmann hinter seinem Rücken zu persiflieren, ihn von seinen Fehlern
abzuhalten. Sie machten aber leider beide diese Dummbeiten mit, Jagow
als Staatssekretär des Äußern, Hammann als Pressechef.
Am 19. Juni 1913 präsidierte ich in Doberan dem Bülowschen Familien-
tag. Es kam mir aus dem Herzen, wenn ich bei dem Festessen, das nach
einer schönen Meeresfahrt im großen Saal des Kurhauses stattfand, der
Freude Ausdruck gab, wieder in der lleimat zu sein. „In jedem Jahre, wenn
ich über die Alpen komme und sehe Deutschland vor mir, so geht mir das
Herz auf. Und komme ich dann über den Main und über den Thüringer
Wald, und norddeutsches Land liegt vor mir: die langen, schnurgeraden,
weißgrauen Landstraßen, die weiten Felder und großen Flächen, die stillen
Seen und prächtigen Buchenwälder und fern am Horizont der Ostsee
blauende Wogen, die wir soeben auf unserer schönen Fahrt nach Arendsee
durchquerten — dann wird mir ganz wohl!“ Ich erzählte den um mich
versammelten Vettern, ich hätte mir in meiner Jugend als Leutnant bei
den Königshusaren ein Verzeichnis derjenigen Bülows angelegt, die sich im
Staatsdienst ausgezeichnet haben, und ich fügte die Aufforderung an die
jüngeren Vettern hinzu, es ebenso zu machen, teils um unsere Familien-
geschichte gründlich kennenzulernen, teils auch als Aufmunterung für
eigene Leistungen. „Mein seliger Vater“, fuhr ich fort, „hat mir einmal
erzälilt, daß, als er den Fürsten Bismarck gefragt habe, ob er mich in den
auswärtigen Dienst übernehmen wolle — das ist schon lange her, das war
vor vierzig Jahren —,er es für seine Pflicht gehalten hätte, den Fürsten
darauf aufmerksam zu machen, daß schon drei Bülows dem auswärtigen
Dienst angehörten: mein Vater selbst, der damals Staatssekretär des
Auswärtigen war, der Geheimrat Ernst von Bülow, Bülow I, wie er während
vieler Jahre im Auswärtigen Amt genannt wurde, und endlich der lang-