Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

DER MANN DES SCHICKSALS 101 
sagte, daß er unserem Staatswesen, dem Beamtentum und der Armee 
seinen starken und großen Stempel aufgedrückt hat. Die Abschüttelung der 
Fremdherrschaft war überwiegend das Werk von Preußen. Wir erinnern uns 
daran nicht aus Ruhmredigkeit oder Überhebung, sondern weil es die histo- 
rische Wahrheit ist. Dieses kleine und arme, von Napoleon ausgesogene und 
zerschlagene Preußen, das kaum fünf Millionen Einwohner zählte, stellte 
dreihunderttausend Mann ins Feld. Es stellte vor allem den Geist, den 
Geist von Scharnhorst und Stein, von Blücher und Yorck, von Heinrich 
von Kleist und Theodor Körner, von Ernst Moritz Arndt und Friedrich 
Ludwig Jahn, von Schleiermacher und Fichte, den Geist der Männer, deren 
Bilder unsere Dennewitzer Gedenkhalle schmücken. Dieser Geist wies 
Deutschland die Wege. Nur so lange es den Hauch dieses Geistes verspürt, 
ist Deutschland auf dem rechten Wege.“ Ich schloß: „Am Tage nach der 
Schlacht von Dennewitz schrieb der Sieger an seine Frau: ‚Es kommt nur 
darauf an, daß wir unsere Siege nutzen, und wir werden bald Herr von 
Deutschland sein.‘ Diese Hoffnung ging damals nicht in Erfüllung. Ein 
halbes Jahrhundert mußte vorübergehen, bis der Mann des Schicksals kam, 
der gewaltige Staatsmann, der, getragen von dem Vertrauen seines könig- 
lichen Herrn, mit iım die Kraft des preußischen Staates in das richtige 
Bett, in das Strombett des deutschen Einheitsgedankens leitete und mit 
genialem Blick die rechte Stunde traf, das von König Wilhelm mit Weisheit 
und Tatkraft, mit tiefer Einsicht und in langer Treue neugeschärfte preu- 
Bische Schwert in die Schale zu werfen, die Reiche wägt. Da kam der Tag 
der Erfüllung für alle Hoffnungen und Wünsche, der volle Lohn für die 
Opfer und Mühen des Jahres 1813. Und als 1870 wiederum Kriegsruf er- 
klang, konnte der Prophet des nationalen Gedankens, Heinrich von 
Treitschke, in seinem Liede vom Schwarzen Adler zum preußischen 
Königsaar sprechen: 
„Erfüllet sind die Zeiten, 
Wahrheit wird der Dichtung Traum. 
Deinen Fittich sollst du breiten 
Über Deutschlands fernsten Raum. 
Nimm der Staufer heil’ge Krone, 
Schwing den Flamberg der Ottone, 
Unseres Reiches Zier und Wehr: 
Deutschland frei vom Fels zum Meer!“ 
Als ich mit diesen Worten auf die Via triumphalis hinwies, die von 
Dennewitz über Sadowa nach Sedan und Versailles führt, glaubte ich nicht, 
daß ein Jahrzehnt später der deutsche Reichspräsident Ebert bei der fünf- 
undsiebzigjährigen „Feier“ des Zusammentritts der Frankfurter National-
	        
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