EIN SANIERUNGSVERSUCH 115
Ballin tat, was er konnte, damit der Kaiser mich zurückberufe oder wenig-
stens in Fragen der auswärtigen Politik Fühlung mit mir hielte. Ballin war
überzeugt, daß ich, vor dem 22. Juli, ja selbst vor dem 30. Juli 1914 zu-
rückberufen, den Krieg verhindert hätte. Er war auch überzeugt, daß ich
1916 den Weg zum Frieden mit Rußland, 1917 zu einem Vergleichs- und
Vernunfts-Frieden mit England gefunden hätte. Der Kaiser aber hörte in
dieser Beziehung nicht auf Ballin, so gern er ihn sonst mochte. Il n’y a
pas de pire sourd que celui qui ne veut pas entendre.
Graf August Eulenburg, der bis zu seinem Tode Seiner Majestät ein
ebenso treuer wie kluger Berater war, hat sich mit Vorsicht und Takt, aber
unentwegt bemüht, den Kaiser zu mir zurückzuführen. Nach dem Rück-
tritt von Bethmann, 1917, sollte ein Augenblick kommen, wo der Kaiser
nach einer Unterredung mit Ballin zu August Eulenburg sagte: „Gehen Sie
zu meiner Frau und sagen Sie ihr, daß sie ihren Bülow wiederkriegt.‘“ Aber
wenige Stunden später bestimmten die Intrigen des deutschen Botschafters
in Wien, des Grafen Botho Wedel, und des mit ihm an einem Strange
ziehenden österreichischen Botschafters in Berlin, Gottfried Hohenlohe, den
Kaiser, meine Kandidatur aufzugeben, und es gelang Valentini, Seiner
Majestät als Nachfolger für Bethmann statt meiner den Unterstaatssekretär
Michaelis mundgerecht zu machen.
Fünf Jahre früher hatte der klarblickende Schmoller, dem die Entwick-
lung der Dinge, namentlich auf dem Felde der auswärtigen Politik, schon
damals nur zu begründete Sorge einflößte, einen Versuch unternommen, das
Verhältnis zwischen dem Kaiser und mir zu sanieren. Er schrieb mir im
Sommer 1912, er wünsche nach wie vor dringend, daß der Kaiser aufgeklärt
werde, nicht etwa nur in meinem Interesse und auch nicht allein um der
Sache willen, sondern um des Kaisers willen. Ob und wie und wann man
den Kaiser aufklären könne, entziehe sich seiner Beurteilung, er sehe von
der offiziellen Welt fast niemand mehr. Er habe aber Harnack, der min-
destens einmal wöchentlich das Glück habe, sich an der kaiserlichen Gnaden-
sonne zu wärmen, ein kurzes Memorandum zugestellt, das, zur Kenntnis
des Kaisers gebracht, nützlich wirken könnte. Einige Monate später schrieb
mir Schmoller, er habe sich in seinem Kollegen Harnack geirrt. Dieser halte
offenbar mit Falstaff Vorsicht für den besseren Teil der Tapferkeit und wolle
nicht riskieren, an Allerhöchster Stelle anzustoßen. Gleichzeitig schickte er
mir eine Visitenkarte, die er von Harnack nach langem Warten in Er-
widerung auf seine briefliche Anregung erhalten hatte:
„Prof. D. Adolf Harnack
Wirklicher Geheimer Rat, Generaldirektor der Königl. Bibliothek
sendet das ihm zugesandte Memorandum mit ergebenstem Dank zurück.