DER UNWILLKOMMENE EINBLÄSER 117
daß es besser werde und daß das kommende Jahr gutmache, was dieses
böse machte.“ In einem zweiten Brief schrieb mir der alte Mechler: „In
unserem Norden trat plötzlich unerwartet ein ungewöhnlich starker Schnee-
fall ein, ihm folgten ebenso ungewöhnlich warme Tage, welche die Blüten
der Bäume und Sträucher allzu früh entwickelten. Ein jähe eintretender
Frost vernichtete alles — und seit einigen Tagen haben wir Hitze. Natur
und Politik wollen nicht mehr in ihren alten früheren Bahnen bleiben, und
der Wetterprophet wie der Politiker haben schwere Zeiten und ein undank-
bares Metier. Wäre alles in gewohntem Geleise und entwickelte sich die
Weltgeschichte folgerichtig: dann könnte ich mir wohl denken, daß Euer
Durchlaucht die Weltlage ruhig ließe. Da sie aber anders verläuft, so kom-
men Eurer Durchlaucht doch wohl mitunter ernste Gedanken.“
Als ich durch das Rhonetal und den Simplon nach Rom zurückgekehrt
war, verdichteten sich meine sorgenvollen Erwägungen zu einem Memo-
randum. Aber: wie dies an die entscheidenden Stellen, d. h. an Kaiser und
Kanzler gelangen lassen? Ich wußte, daß Wilhelm II. auch kürzere Denk-
schriften schr ungern las. Hatte er doch im März 1890 das Abschiedsgesuch
des Fürsten Bismarck, ein weltgeschichtliches Dokument, kaum durch-
flogen, geschweige denn meditiert. Würde nicht, hiervon abgesehen, Wil-
helm II. bei seiner von Ohrenbläsern und Zwischenträgern sorgsam ge-
nährten Gereiztheit gegen mich ein von mir eingereichtes Schriftstück von
vornherein mit Mißtrauen in die Hand nehmen? Aber auch bei Bethmann
Hollweg war leider nicht mit einer vorurteilslosen und unbefangenen Prü-
fung meiner Warnungen zu rechnen. Dem selbstgerechten, von seiner
eigenen Vortrefflichkeit allzu überzeugten, dabei empfindlichen und weh-
leidigen Kanzler war, namentlich durch das Freundespaar Jagow-Flotow,
eingeredet worden, daß er sich lächerlich machen würde, wenn er sich von
seinem Vorgänger „einblasen“ ließe. Gerade weil ich ihm ohne mein Ver-
dienst, lediglich durch meinen Lebensgang an europäischen Konnexionen
wie an diplomatischer Routine überlegen wäre, würde er, wenn er sich beim
Fürsten Bülow Rat hole, als „das Geschöpf‘‘ seines Vorgängers erscheinen.
Und würde ein solcher Rat des Vorgängers ehrlich sein? So raunten, von
sich selbst auf andere schließend, Flotow und Jagow dem Kanzler ins Ohr.
Arcades ambo. Wer gönne seinem Nachfolger Erfolge? Und selbst wenn
Fürst Bülow wirklich gute Ratschläge erteilen könnte, so würde er einen
etwaigen Erfolg für sich buchen, bei Mißerfolgen die Schuld auf die falsche
Ausführung des an und für sich trefflichen Ratschlags schieben. Vertrau-
liche Andeutungen von Loebell wie von Schwartzkoppen ließen keinen
Zweifel darüber, daß Bethmann Hollweg, der seine Beförderung vom Ober-
Präsidenten zum preußischen Minister des Innern, vom Minister des Innern
zum Staatssekretär des Reichsamts des Innern, zum Stellvertreter des
Gedanke
an ein
Memorandunı