Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

„NICHTS GEHEIMES PASSIERT“ 121 
brieflich geklagt, daß er leider „das passende Stichwort für die Wahlen“ 
nicht finden könne. „Eine aus dem Liberalismus, dem Zentrum und einem 
Teil der Freikonservativen zu bildende Majorität wäre denkbar, würde uns 
aber zu weit links führen, so bleibt das Problem undurchsichtig und gefahr- 
drohend.“ Ihm sei in erster Linie darum zu tun, das Pensum des künftigen 
Reichstags möglichst klein zu gestalten „und vor allem zu kalmieren“. Ein 
rosaroter Reichskanzler sei ebenso unmöglich wie ein schwarz-blauer. Auch 
Bismarck habe es als scine Aufgabe bezeichnet, zwischen den Parteien zu 
lavieren. Er denke es zu machen wie Bismarck. Gewiß sei es ihm peinlich, 
daß er bei den Wahlen keine aktive Führerrolle werde spielen können. Aber 
wie das anfangen? Die wirtschaftliche Wahlparole ziche nicht, weil sie zu 
wenig bestritten werde. Mit dem Bülowschen Zolltarif und den Bülowschen 
Handelsverträgen sei nach allem Geschrei von links und von rechts jetzt, 
ein Jahrzehnt später, alle Welt zufrieden. Die antisozialdemokratische 
Wahlparole sei leider „momentan nicht packend‘“. Nicht nur für die 
Parteien, sondern auch für die Staatsregierung sei es fortwährend 
schwieriger, ihr Verhältnis zur Sozialdemokratie zu regulieren. Glücklicher- 
weise gäre es innerhalb der sozialistischen Reichtagsfraktion so gewaltig, 
daß die revisionistischen und die radikalen Elemente nicht einmal mehr die 
hergebrachten Umgangsformen untereinander bewahrten. Die auswärtige 
Lage schilderte mir mein Nachfolger nur mit knappen Strichen, aber 
hoffnungsfreudig, namentlich was unser Verhältnis zu England betrefle. 
„Im Auswärtigen ist nichts Geheimes passiert. Mit England kommen wir 
langsam, aber stetig vorwärts! Sasonows Erkrankung verzögert den Ausbau 
der Potsdamer Gespräche, ohne ihn einstweilen zu gefährden.“ Mit Frank- 
reich würde es sogar zu einer Entente kommen, „falls die dortige Regierung 
stark genug ist.“ Alles in allem gab der Optimismus des schwerblütigen 
Kanzlers dem des von Natur zuversichtlichen und freudigen Kaisers 
nichts nach. 
Im Sommer 1913 war ich meinem Namensvetter, dem Gesandten in 
Hamburg, Hans Adolf von Bülow, begegnet. Er vertrat seit einem Jahr bei 
Herrn von Bethmann Hollweg, wenn dieser nicht in Berlin weilte, das 
Auswärtige Amt. Er war dem Reichskanzler, der für seine dienstliche 
Umgebung ein gemütlicher Chef war, herzlich zugetan; übrigens ein 
tüchtiger Mann von diplomatischer Erfahrung und gesundem Verstand. Er 
erzählte mir, der Herr Reichskanzler habe ihm wiederholt geklagt, daß er 
wenig Freude an seinem Amt hätte. Er sei nun einmal eine sensitive Natur, 
Angriffe im Parlament und in der Presse gingen ihm sehr nahe, eine bos- 
hafte Karikatur könne ihm eine ganze Nacht verderben, ihm fehle die 
„Rhinozeroshaut‘ des Fürsten Bülow. Der Kaiser behandele ihn oft recht 
rücksichtslos, wie ein Reichskanzler sich eigentlich nicht behandeln lassen 
Beziehungen 
zu England
	        
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