DER PARAVENT 123
London zu senden. Die geistreiche Frau von Muchanow pflegte zu sagen:
„Ilfaut demander au bon Dieu, de ne pas exaucer nos pri£res.““ Die Griechen
drückten das noch schöner aus: „Die Götter strafen uns durch die Er-
füllung unserer Wünsche.“ Lichnowsky, der unter mir in Bukarest als
Legationssekretär gearbeitet hatte, dann von 1899 bis 1904 mein Personal-
dezernent im Auswärtigen Amt gewesen war, weilte im Herbst 1912 gleich-
zeitig mit mir in Hamburg im Hotel Atlantic, das unter der Ägide von
Ballin und durch die Unterstützung des kleinen Pfordte, des großen
Gastronomen, eines der besten Hotels der Welt geworden war. Ich war im
Begriff, zu Bette zu gehen, als Lichnowsky freudestrahlend in mein
Zimmer stürzte: „Es ist erreicht!“ In der Hand schwenkte er einen eigen-
händigen Brief des Kaisers. Es hieß in dieser Epistel ungefähr: Der
Kaiser habe Lichnowsky zu Allerhöchstseinem Vertreter in London aus-
ersehen. Dieser dürfe nie vergessen, daß er solche Auszeichnung seinem
Allergnädigsten Herrn verdanke, nicht den Räten vom Auswärtigen Amt.
Die ihm von Seiner Majestät gestellte Aufgabe bestehe darin, viele und gute
Diners zu geben, sich in Schlössern und auf Rennen zu zeigen — kurz, als
„a jolly good fellow“ zu gelten und sich auf solche Weise recht beliebt zu
machen. Er solle der Paravent sein, hinter dem der Kaiser seine Flotte zu
Ende bauen könne. Wäre dies erreicht, so sei der Weltfriede gesichert,
dem die Lebensarbeit Seiner Majestät gelte. In Parenthese ist zu bemerken,
daß eine spontanere Bekundung der Friedensliebe Wilhelms II., der sich in
Briefen an persönliche Freunde ohne Hemmungen auszudrücken pflegte,
schwerlich gedacht werden kann.
Als Lichnowsky sich am nächsten Tage in Berlin beim Reichskanzler
und beim Staatssekretär meldete, wurde er nicht freundlich empfangen.
Bethmann Hollweg war entsetzt, daß auf den schwierigen Botschafter-
posten in London ein Diplomat gesetzt werden sollte, der bisher nicht
einmal eine Gesandtschaft geführt hatte. Kiderlen sprach von einem
Botschafter, der geistig „ein Baby“ sei. Das war ungerecht. Aber gefährlich
war die Wahl. Lichnowsky war als Mensch ein vornehm denkender Kavalier,
dabei herzensgut, das, was man im alten Berlin eine Seele von Mensch
nannte. Er hatte auch bisweilen ganz nette Einfälle. Aber er war durch und
durch Dilettant und unterschätzte als solcher die Schwierigkeiten des
diplomatischen Gewerbes wie seine Gefahren. Er war sich nicht genügend
darüber klar, daß in der Politik zwar die Gedanken leicht beieinander
wohnen, nicht aber Menschen und Dinge. Holstein, der Lichnowsky per-
sönlich mochte und der ihn protegierte, sagte von ihm: „Der gute Lich-
nowsky glaubt, daß über eine Sache schwätzen schon so viel bedeutet als
die Sache machen.“ Lichnowsky war alles in allem mehr Kannegießer als
politischer Kopf. Er war auch nicht immer taktvoll. Er war vor allem, und